Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)
nicht ansah. Später würde Sarah sich an diesen Augenblick erinnern, an die traurigen Augen ihres Daddys und an ihre Mama, die ihrem Blick auswich, und sich fragen, warum um alles in der Welt sie ihr damals nicht gesagt hatten, was das bedeutete – verheiratet zu sein. Ihm zu gehören.
Doch in diesem Moment dachte sie nur daran, wie er an jenem Samstagmorgen gesungen hatte, als sie ihn in der Kirche entdeckte. Dass er anders mit ihr gesprochen hatte als die anderen – als könnte er nichts an ihr entdecken, was nicht in Ordnung war. Alle sahen sie an, und sie begann zu nicken. Dann hörte sie damit auf. Sie wusste, sie würden ihr glauben, wenn sie es aussprechen würde. Ihre Mama konnte an ihrem Wunder festhalten, und Sarah wusste, dass sie ihr dieses Wunder nun schenken musste. Die Augen ihres Daddys mochten traurig bleiben, aber vielleicht würden seine knochigen Schultern sich etwas lockern und seine Brust sich mit mehr Luft füllen. Sie hatte ja erlebt, welche Wirkung es auf ihre Eltern hatte, als sie ein paar Monate vorher endlich gesprochen hatte, und in diesem Augenblick tat es ihr so leid, dass sie so lange dafür gebraucht hatte.
Selbst Tante Paulie wurde nun still, sichtlich erschrocken (und vielleicht enttäuscht, dachte Sarah manchmal), als sie tief einatmete und die Worte sagte. Es war Tante Paulie, die sie ansah, während sie ihnen jetzt antwortete, während sie nickte und Luft holte und ihr erstes Wort ausatmete, das kein Flüstern war.
»Ja«, sagte sie. »Ich werde ihn heiraten.« Der Klang ihrer eigenen Stimme erschreckte sie. Sie klang weich und voll, wie die Stimme einer Frau.
Letzten Endes brachte er sie nicht aus Kentucky fort. Er zog mit ihr nur dreißig Kilometer weiter, zur Big Hill Baptist Church in Richmond in einen winzigen Schuhkarton von einem Haus, das einige Männer aus der Gemeinde in der Big Hill Road für sie bauten.
Sie war sechzehn Jahre alt. Erst ein Jahr vorher hatte sie ihre erste Periode gehabt. Die Augen ihrer Mutter hatten ängstlich ausgesehen und zur Seite geblickt, als sie Sarah erklärte, was sie in ihrer Hochzeitsnacht zu erwarten hatte. Es war der Tag, bevor sie George Cox heiraten sollte, und sie fragte sich, ob sie sich verhört hatte.
Nicht, dass er nicht sanft war. Er schien nicht viel mehr zu wissen als sie. Sie erschraken beide, als sie vor Schmerz aufschrie. Am Morgen wusch er das blutige Laken selbst, in einem Eimer hinter dem Haus.
In der zweiten Nacht blutete sie nicht mehr so stark. Er hatte ihr zwei große Gläser süßen Wein zum Abendessen gegeben. Messwein, flüsterte er ihr zu und lachte – etwas nervös, wie sie fand. Was sollte ihn nervös machen? Jesu Blut . Sie lachte ebenfalls. Ihr gesamter Körper wurde warm, sie spürte eine Röte in die Wangen steigen. Sie war angenehm betäubt. Es tat weniger weh, es fühlte sich anders an. Danach brachte er den Wein mit in ihr Schlafzimmer und goss jedem ein Glas ein. Der Wein lag süß und stark in seinem Atem und auf seiner Zunge. Er tauchte den Finger ins Glas und breitete die Süße langsam auf ihr aus. Auf ihren Lippen, auf ihren Brüsten, dann dort . Jesu Blut und ihr eigenes. Sie lachte, dann hielt sie sich den dummen Mund zu. Sie drehte sich auf die Seite, mit dem Rücken zu ihm. Sie hob die Hüften an und ließ ihn von hinten in sie eindringen. Um sich herum spürte sie ein weißes Licht. Robert . Beinahe sagte sie seinen Namen laut. Sie sah seine glatten Arme vor sich, die Muskeln, die ihr damals Angst gemacht hatten. Sie hörte seine Gitarre spielen, spürte sie spielen, in sich.
Im Laufe der nächsten fünf Jahre war sie dreimal schwanger. Jedes Mal verlor sie das Kind. Das letzte wurde tot geboren. Danach blieb sie lange Zeit im Haus ihrer Mama und ihres Daddys. Wieder hörte sie auf zu sprechen, abgesehen von dem Gurgeln und Zischen, den Lauten, die keiner von ihnen verstehen konnte. Im Frühling, als George Cox kam, um sie nach Hause zu holen, wollte Sarahs Daddy, plötzlich alt und gebeugt geworden, ihn fortschicken.
»Such dir eine andere Frau«, sagte er, und Sarahs Mama versteckte sich hinter der Tür und weinte.
Doch sie sah die hängenden Schultern ihres Ehemannes, seine müden roten Augen. Hatte sie alle so alt und traurig gemacht? Ihr hoffnungsloser Schoß? All diese Kinder, die zu Robert gegangen waren. Warum nicht sie ? Sie stand auf, um ihre Tasche zu packen und mit ihrem Mann zu gehen. Was sollte sie sonst tun?
Also kehrte sie zurück, kochte ihm seine Mahlzeiten und
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