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Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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putzte sein Haus. Beantwortete seine Fragen mit »Ja« oder »Nein«. In der Kirche blieb sie stumm, und alle beobachteten sie aus zusammengekniffenen Augen. Er berührte sie ganz leicht, ihre Schulter, ihren Rücken, ihre Taille, um sie nach Hause oder in ihr Zimmer zu steuern. Er schlief nun auf dem Wohnzimmersofa.
    Bis sie eines Nachts weinend aufwachte. Mondlicht flutete in das kleine Schlafzimmer. Sie hatte ein Lied geträumt, eines, das sie nicht kannte. Eine Kinderstimme hatte es gesungen, so seltsam und schwermütig wie der Mond. Da ging sie zu ihm und schmiegte sich in seine Arme. Er zitterte, während er sie festhielt. Sie hob ihr Nachthemd hoch. Das Kind, das sie in dieser Nacht machten, würde leben. Das wusste Sarah, wegen des Singens. Es war ein gesundes Mädchen, und sie nannten sie Mary Elizabeth, nach ihren Müttern.
    Und dann plötzlich beobachtete niemand sie mehr nervös. Die junge Mama. Sie sah die Veränderung selbst im Spiegel. Ihr Gesicht war jetzt das einer Frau. Tante Paulie glättete ihr das Haar und legte es dann in glänzende Wellen, während ihr Daddy das Baby auf dem Knie reiten ließ. Ihre Mama nähte zwei neue Kleider für sie, mit Platz für ihre plötzlich üppigen Brüste. Wenn Mary Elizabeth weinte, konnte nur Sarah sie trösten. Es war eine Macht, etwas, das sie nie zuvor erlebt oder auch nur geahnt hatte.
    Doch der Arzt sagte nach Mary Elizabeths Geburt, dies müsste ihr einziges Kind bleiben. Er war ein weißer Mann, der im Krankenhaus in Lexington arbeitete, wo sie, auf Tante Paulies heftiges Drängen hin, entbunden hatte. Im Krankensaal für Farbige. Der Arzt war jung und seine Augen traurig. Sie hatte Tante Paulie in der Ecke des Saals mit ihm flüstern gesehen, später auch George in derselben Ecke. Beide hatten den Blick niedergeschlagen, als sie merkten, dass sie sie beobachtete.
    Keine Kinder mehr also. Sie fragte sich immer: Wessen Idee war das gewesen?
    Die Männer aus der Kirche bauten ein zweites Stockwerk auf ihr Haus. Ihr altes Schlafzimmer wurde Georges Arbeitszimmer. Seine Kirche, in der er vom friedlichen Miteinander, vom stillen »Aufstieg der Rasse« predigte, wuchs. Einmal im Monat frühstückte er mit einer Gruppe von Predigern aus dem gesamten Landkreis.
    »Auch weiße«, erzählte er ihr mit einer Ehrfurcht, die sie verstörte. Sie nickte nur. In der Innenstadt von Richmond wechselten weiße Menschen immer noch die Straßenseite, um nicht auf derselben wie sie laufen zu müssen. Ein Kind zu haben hatte daran nichts geändert. Weiße Menschen hatten auch ihren Bruder getötet. Das war, was sie über weiße Menschen wusste.
    Doch nun gab es dieses kleine Wesen, dieses Mädchen mit Augen wie ihre eigenen und dicken, rundlichen Armen wie die ihres hingebungsvollen Vaters. Dieses Mädchen würde sie eine Zeitlang brauchen. Plötzlich hatten die Leute in der Kirche keine Angst mehr vor ihr. Wenn sie immer noch kaum sprach, was machte das schon? Sie war die Mutter eines gesunden, wunderschönen Kindes. Das genügte zu der Zeit.
    Sarahs Mama war eine Weile jeden Sonntag zur Kirche gegangen. Aber ihr Daddy und Robert hatten dafür nichts übrig gehabt. Nicht lange nach Roberts Tod hatte ihre Mama aufgehört, Sarah mitzuschleppen. An jenem Morgen, als sie George singen hörte, war sie über ein Jahr nicht in der Kirche gewesen.
    »Wir müssen dich zurück zu Jesus bringen«, sagte er zu ihr, als sie verheiratet waren.
    »Das ist der Weg nach oben für uns, für Schwarze. Nach oben, und näher zu Gott.
    Wir werden uns als würdig erweisen, und Gott wird uns alle vereinen.
    Er ist die Rebe, wir sind die Zweige. Niemand kommt zum Vater außer durch ihn.«
    Was wusste der himmlische Vater oder die Rebe oder die Zweige oder irgendeiner von ihnen darüber, ein totes Kind durch seine Beine zu drücken?, hätte sie fragen können, falls sie sich je dazu entschlossen hätte, ihrem Mann zu antworten, wenn er so mit ihr sprach. Den verbrannten Leichnam seines Bruders an einem Baum hängen zu sehen?
    Manchmal, als ihr kleines Mädchen älter wurde, stand Sarah gefährlich kurz davor, während einer von Georges Predigten laut aufzulachen. Als Mary Elizabeth alt genug war, um allein in die Sonntagsschule zu gehen, begann Sarah, zu Hause zu bleiben. Versuchte George, mit ihr darüber zu sprechen, starrte sie auf den Boden und sprach halblaut in ihrer eigenen Sprache, um ihn auszublenden.
    Irgendwann gab er die Versuche auf. Das Flüstern in der Kirche fing wieder an, und die alten

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