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Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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Frauen sagten zu ihr: »Sie müssen Ihren Mann mehr unterstützen.« Sowohl Schwarze als auch Weiße wechselten von da an die Straßenseite, um eine Begegnung mit ihr zu vermeiden.

Pilger und Fremde
    1962
    Z u Hause konnte sie nicht bleiben, das wusste Mary Elizabeth. Zu Hause war etwas, was den falschen Namen hatte, oder vielleicht den falschen Platz. Aber natürlich brauchte der Mensch eines. Wo war ihres jetzt? Nicht bei ihren Eltern, wo sie sich nun nicht um den Haushalt kümmern konnte. Zu erschöpft, zu beschämt – aber das durfte sie ihrer Mama niemals zeigen. Nicht auszudenken, was das anrichten könnte.
    »Komm doch eine Weile zu uns«, sagte Maze. »Komm nach Pleasant Hill.«
    Mary Elizabeth hatte noch Geld vom Putzen in den Weihnachtsferien. Also kaufte sie sich eine Busfahrkarte und fuhr.
    Die drei Frauen lebten in einem kleinen Steinhaus, dem Gebäude, das den Shaker-Schwestern früher als Werkstatt gedient hatte. Der halbe Wohnraum, gleich neben der Küche, wurde von Schwester Georgias Webstuhl eingenommen. Die drei verbrachten aber offensichtlich kaum Zeit dort – Vista war ständig unterwegs zu einem Job hier oder einem Kirchentreffen dort, Maze und Schwester Georgia streiften unentwegt durch die Gegend und schienen dabei irgendwie fast in der klaren Luft aufzugehen.
    Im ersten Stock standen ihre Betten. Maze hatte ein viertes aufgestellt, ein Feldbett mit einer alten Steppdecke. Jeder hatte sein eigenes winziges Zimmer, Mary Elizabeth jetzt auch.
    »Du kannst dich hier ausruhen, so lange du möchtest«, sagte Maze, als sie Mary Elizabeth ihr Zimmer zeigte. Mary Elizabeth nickte und versuchte zu lächeln. Keine Berührung jetzt, kein dunkles Zelt der Lust. Wie hätte sich wohl alles entwickelt, wenn sie mehr Berührung zugelassen hätte, mehr Zeit? Mit Maze, aber auch mit anderen? Mit diesem Daniel? Zwecklos, nun darüber nachzudenken.
    »Ich glaube, dieser Ort hier wird dich wieder zum Leben erwecken, M. E.« Maze nannte sie wieder so. »Weißt du, die letzten Wochen warst du wie ein wandelndes Gespenst.«
    Sie wollte damals nie mit zum Tanzen. Sie wollte nie in der milden, kühlen Aprilluft in den Hügeln wandern, als die weißen Blüten des Kanadischen Blutkrauts aus dem Waldboden sprossen wie ein Wunder. Sie musste immer üben. Stundenlang an Stücken, die sie nie in der Öffentlichkeit spielen würde, für niemanden.
    »Warum machst du das?«, hatte Maze eines Abends Anfang Mai um Mitternacht in ihrem Zimmer gerufen, als sie Mary Elizabeth ihre schmerzenden Hände und Handgelenke in straffe Verbände wickeln sah, ehe sie sich für nur vier oder fünf Stunden ins Bett legte.
    »Ich erwarte nicht, dass du das verstehst, Maze«, hatte sie damals gesagt und ihr Licht ausgeknipst.
    Aber nun, sagte Maze, würden sie sie wieder zum Leben erwecken. Sie mit Shaker-Mittelchen und Shaker-Tees heilen, sie mit Pasteten und Broten und Plätzchen mästen. Sie nahm Mary Elizabeth mit zum Shawnee Run und ließ sie die Schuhe ausziehen und hineinwaten. Nachts schlichen sie sich auf den Berg hinter der Schwesternwerkstatt, mit Zigarettenschachteln in der Tasche oder einer Tüte voller Bierdosen in der Hand, die Shade Nixon für sie erworben hatte – der gute alte hustende, nörgelnde und dieser Tage üblicherweise betrunkene Onkel Shade.
    »Aber wie werden deine Mama und Schwester Georgia es finden, wenn ich hier bin?«, fragte Mary Elizabeth, als sie ankam.
    »Die sind nur froh, dass du nicht Harris Whitman bist«, sagte Maze. Er hatte sie inzwischen zweimal besucht und die Handwerkskunst der Shaker in den alten Gebäuden bewundert, die wunderschön geschnitzte Treppe in einem, die schlichten, perfekt gefertigten Stühle und Tische in anderen. Den beiden älteren Frauen im Haus ging er meistens aus dem Weg, erzählte Maze. Er war auch beide Male nicht lange geblieben, und nun war er den Großteil des Sommers auf Reisen. Er fuhr seine selbstgefertigten Tische und Stühle, Holzkisten und Besen bis nach Neuengland, um sie auf Jahrmärkten und Volksfesten zu verkaufen. Maze sehnte sich nach ihm, sagte sie, sprach aber nicht weiter darüber. Das machte das Leben mit Vista und Georgia leichter.
    Dienstag, der Tag nach Mary Elizabeths Ankunft, war ein Waschtag, und sie und Maze halfen Vista bei der Wäsche, die sie dreimal pro Woche für das Beau Rive Hotel wusch. Die Arme tief in Wannen mit siedend heißem Wasser gesteckt, rieben sie sich die von der Bleiche brennenden, wässrigen Augen an der Schulter, während

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