Wie ein Hauch von Zauberblüten
wartete auf die kleinen Blauböckchen oder auf eine kranke Oryxantilope.
»Du lügst!« sagte er ruhig. »Mein Kind wird weiterleben.«
»Das wird es. Aber blind. Ohne Augen. Ihr wißt alle, wie es um euch steht. Man hat euch fortgejagt, weil ihr unheilbar krank seid! Seit Monaten zieht ihr wie Geister durch das Land und versteckt euch vor allen Menschen wie ein scheuer Fuchs. Damit heilt ihr eure Krankheit nicht. Sie verschwindet nicht von allein.«
»Wir haben unsere Medizin!« sagte Molongo stolz.
»Einen Brei aus Wurzeln, Blättern und Stengeln! Damit will euer Medizinmann Bakterien vernichten!«
»Hast du eine bessere Medizin?«
Die Frage setzt mich matt, dachte Dr. Oppermann. Soll ich antworten: Nein! Unsere hochgezüchtete Wissenschaft ist in diesem Fall nicht weiter gekommen als euer Medizinmann mit seinem Blätterbrei? Wie er mich ansieht, dieser Ovambo … Er weiß die Antwort genau, er will sie nur von mir selbst hören.
»Man kann keine Medizin machen«, sagte Oppermann ausweichend, »wenn die Kranken sich vor dem Doktor verstecken. Das ist doch klar! Oder kannst du ein Wildschwein jagen, wenn das Schwein nach Norden läuft und du nach Süden?«
»Ich möchte sie mitnehmen.« Molongo zeigte auf die junge Frau und das Kind.
»Wenn sie wollen, werden sie mit dir gehen. Ich halte sie nicht fest.«
Molongo sagte ein paar Worte. Sie klangen nicht wie ein Befehl, eher wie eine Bitte.
Die junge Frau erhob sich von der Erde, senkte den Kopf und verließ das Vorzelt.
Einen Augenblick war Dr. Oppermann versucht, sie festzuhalten, aber dann siegte die Vernunft: Man muß sein Wort halten, gerade bei den Eingeborenen. Ich habe gesagt: Ich halte sie nicht fest.
Molongo wartete, bis seine Frau an ihm vorbeigegangen war. Dann schulterte er seinen Speer und trat einen Schritt zurück.
»Wie lange bleibst du hier?«
»Bis ich euch alle untersucht habe. Und euer Vieh auch! Ihr braucht nicht als Ausgestoßene von Versteck zu Versteck ziehen. Ihr habt ein Recht, zu leben wie alle Menschen. Sag das den anderen!«
Molongo wandte sich schweigend ab und folgte seiner Frau. Er hatte den gleichen federnden Gang wie sie.
Vom hinteren Zelteingang kam Urulele heran und stellte sich neben Dr. Oppermann. Noch immer hielt er die Maschinenpistole im Arm.
»Was wird er jetzt mit seiner Frau machen?« fragte Oppermann nachdenklich.
»Er wird sie verprügeln oder mißachten. Der Rat der Familie wird das bestimmen.«
»Daß so etwas heute noch möglich ist!«
»Ist es bei Ihnen anders, Master Doktor?« Urulele legte den Sicherungsflügel herum. »Bei Ihnen entscheiden die Gerichte über Eheverfehlungen. Und sie hat – nach dem Gesetz des Stammes – eine Eheverfehlung begangen. Was ist da anders?«
»Die Prügel!«
»Prügeln die Weißen ihre Frauen nicht?«
Was soll man darauf antworten, dachte Oppermann. Er hat ja recht. Wenn man's genau betrachtet, sind wir nicht anders als die Menschen, die wir Wilde nennen. Wir stehlen und morden, wir betrügen und überfallen, wir mißhandeln unsere Frauen und saufen und huren, wir erpressen und entführen, wir sprengen in die Luft und töten aus Lust, wir entfachen Kriege aus Habgier oder Größenwahn und lassen zu, daß Millionen Menschen für Ideologien geopfert werden. Wir lügen täglich hundertmal und denken uns vor Neid und Eifersucht abgrundtiefe Gemeinheiten aus. Wir mißgönnen unserem Nachbarn den Erfolg und zünden ihm das Haus an, weil er anders denkt als wir. Was, zum Teufel, unterscheidet uns hochzivilisierte Menschen von den sogenannten Wilden? Die Hautfarbe? – Das ist ein Argument zum Totlachen!
»Wenn ich sehe, daß er sie prügelt, rufe ich Hilfe aus Okaukuejo herbei«, sagte Dr. Oppermann. »Schuld sind ja wir! Wir haben sie mit Musik und Worten herübergelockt.«
Eine große Abordnung der Ausgestoßenen, angeführt vom Häuptling, schritt würdevoll zu Molongos Hütte und kroch hinein.
Dort hockte die Frau auf der Erde und zeigte ihnen, wie der weiße Doktor ihr Kind verbunden hatte. Das sah anders aus als die durchgeweichten Binden mit dem stinkenden Brei des Medizinmannes. Das war trocken und sauber und wurde nicht von Stricken oder Tiersehnen gehalten, sondern von Leukoplaststreifen und einer kleinen, glitzernden, biegsamen Metallklammer.
Der Häuptling betastete den Verband, schob den Zeigefinger darunter, zog den Finger vorsichtig zurück und schnupperte an der Salbe. Sie war geruchlos, farblos und klebte nicht wie Baumharz.
Molongo stand stolz
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