Wie ein Haus aus Karten
und ihre Stimme klingt traurig, dass sie sich über einen von Necko selbst ausgesuchten Veilchenstrauß mehr gefreut hätte. In diesem Fall jedoch ändert sie ihre Meinung. Zwischen den Rosenblättern blitzt ein mehrkarätiger Brillantring hervor.
Parallel zu Neckos beruflichem und gesellschaftlichem Aufstieg entwickelt sich seine bemerkenswerte Karriere als Reiter. Beim Dressurreiten empfängt er die höchsten Weihen: eine Bronze-Medaille bei den Olympischen Spielen in Rom 1960, eine Goldmedaille in der Mannschaftswertung zusammen mit Boldt und Klimke 1964 in Tokio, Silber in der Einzelwertung und Gold in der Mannschaftswertung 1968 in Mexico City. 1966 kommt der Weltmeistertitel hinzu. Diese beachtliche Bilanz führt mein Pflegevater auf das beruhigende Gefühl zurück, nicht aufs Reiten angewiesen zu sein, um Erfolgserlebnisse auszukosten. Dennoch setzt Necko auch hier, gemäß einem weiteren, von ihm oft zitierten Wahlspruch – »Die Niederlage beginnt beim zweiten Platz« –, immer auf Sieg. Necko will bei allem, was er tut, der Erste sein, und meistens ist er das auch.
Ich sehe die ganze Familie von der Tribüne aufspringen und ihn anfeuern, als mein Pflegevater mit fast vierzig Jahren in Frankfurt-Niederrad den ersten Preis bei einem Pferderennen erringt, bevor er sich dem Springreiten zuwendet und sich im Sommer 1955 nach einem Schlüsselbeinbruch für das Dressurreiten entscheidet. Dieser Entschluss ist nicht nur eine Folge seines Unfalls, sondern auch einer Unterredung mit seinen Banken. Aus Sicherheitsgründen bestehen sie darauf. Am 28. Juni 1981 nimmt Josef Neckermann offiziell Abschied vom Turniersport. Ganz lassen kann er das Dressurreiten dennoch nicht.
Ich begleite meinen Pflegevater, als er die Einladung eines kleinen hessischen Turniers annimmt, dort eine Dressur-Kür zu reiten. Zu diesem Zeitpunkt hat er sich schon lange vom aktiven Reitsport verabschiedet. Die Veranstalter, die er seit Jahren kennt, versprechen sich von seinem Auftritt eine besondere Medienpräsenz. Ich stehe am Rande des Parcours und frage mich, warum mein Pflegevater sich das antut. Das Gehen fällt ihm sichtlich schwer, seine Bewegungen sind steif und wirken angestrengt, und nur mit fremder Hilfe ist es ihm möglich, sein Pferd zu besteigen. Als er mit seiner Dressurvorführung beginnt, frage ich mich das nicht mehr.
Von dem Augenblick an, in dem Necko im Sattel sitzt, strahlt er eine ihm sonst nicht eigene, gelassene Konzentration aus. Er ist wie verwandelt. Schon nach den ersten Schritten sind Pferd und Reiter zu einer harmonischen Einheit verschmolzen. Der Gleichklang wird zum Genuss. Necko sieht um Jahre jünger aus. Er ist voller Spannkraft und Energie. Auch das ist mein Pflegevater, ganz bei sich und weit weg von der Welt, der er bis an sein Lebensende glaubt, etwas beweisen zu müssen. Als er unter dem Jubel der Anwesenden, gestützt von Freunden, nach der Vorführung vom Pferd steigt, ist er wieder der gebrechliche alte Mann seiner letzten Jahre.
Das Reiten bestimmt von klein auf sein Leben. Mit den Pferden beginnt der Tag, ob in der elterlichen Kohlengroßhandlung in Würzburg oder später in der Kleebergstraße in Frankfurt, wenn er sich nach dem Frühstück erst in den Stall fahren lässt und danach in die Firma. Er möchte zu dieser frühen Stunde niemandem begegnen und wir ihm auch nicht. Nur das Hausmädchen Klärchen, das seit Jahrzehnten im Dienste der Familie Neckermann und schon lange kein Mädchen mehr ist, kann Necko zu dieser Zeit ertragen. Annemi schläft in der Regel noch. Klärchen, deren Tätigkeit sich mit keiner Berufsbeschreibung umfassend wiedergeben lässt, gießt ihrem Chef zum Frühstück wortlos den Drei-Minuten-Tee in die Meissner Tasse, stellt das Sechs-Minuten-Ei nebst Eierschneider daneben und legt eine Scheibe Weißbrot auf den Teller, von der sie zuvor den Rand abgeschnitten hat. Die Butter ist gleichmäßig verteilt. Unregelmäßigkeiten auf dem Butterbrot duldet der Chef, wie sie ihn nennt, ebenso wenig wie Unordnung im Allgemeinen. Was seine eigene Ordnung betrifft, nimmt er das nicht so genau, aber wer sollte ihn dafür zur Rechenschaft ziehen?
Jeden Abend, wenn Klärchen die von ihrem Chef im Badezimmer fallen gelassenen Kleidungsstücke aufhebt und in den Schrank hängt, ehe sie Anzug, Hemd, Krawatte, Krawattennadel, Socken und Schuhe für dem nächsten Tag auf dem »Herrendiener« drapiert, sammelt sie eine Handvoll Markstücke vom Boden des Badezimmers auf. Die
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