Wie ein Haus aus Karten
aber ihres Chefs, ist für die Köchin das Weihnachtsgeschenk, auf das sie sich das ganze Jahr über gefreut hat.
In die Küche gehen wir Kinder, auch als wir keine Kinder mehr sind, nur selten. Da Frau Kolb die Speisen, die sie zubereitet, nicht selber aufträgt, bekommen wir sie kaum zu Gesicht. Wenn ich mich heute daran erinnere, fällt mir auf, dass unser Interesse an ihrer Person wie an all den anderen, die sich auf die eine oder andere Weise um unser Wohl verdient machen und mit denen wir unter einem Dach leben, nicht über die Arbeiten, die sie für uns verrichten, hinausgeht. Die Welt des Hauspersonals scheint an der Küchentür zu enden, da wo unsere beginnt.
In die Zeit des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufstiegs fällt auch der Bau der neuen, um ein Vielfaches größeren Firmenzentrale. Bereits bei der Eröffnung des Unternehmens am Ostbahnhof hat Necko einen größeren Standort für eine spätere Firmenzentrale im Frankfurter Vorort Fechenheim an der Hanauer Landstraße ins Auge gefasst. 1951 beginnt er von der Stadt wie von Kleineigentümern der Gegend Land aufzukaufen.
Als ich ein Praktikum bei der »Frankfurter Neuen Presse« mache, kann ich meinen Pflegevater überreden, ihn, sozusagen aus beruflichen Gründen, zu einer Pressebesichtigung der Baustelle in der Hanauer Landstraße zu begleiten, wohin die Firma 1960 umzieht. Damals ahne ich nicht, dass Architektur neben dem Journalismus meinen weiteren Berufsweg bestimmen wird. Mit einem Bauhelm auf dem Kopf laufe ich hinter meinem Pflegevater her, der in Begleitung von Journalisten die frischimportierten italienischen Arbeiter begrüßt, für die ein holpriges »buon giorno« und ein Händedruck von Josef Neckermann einen hoffnungsvollen Start in der Fremde signalisieren.
Necko ist einer der Ersten, der nach dem »Abkommen über Anwerbung und Vermittlung von Arbeitskräften« zwischen der westdeutschen und der italienischen Regierung von 1955 auf der Großbaustelle der neuen Firmenzentrale Handwerker aus Italien einstellt. Während Mitte der 50er Jahre die erste deutsche Reisewelle unter den Klängen von Conny Froboess’ Schlager »Zwei kleine Italiener« beschwingt nach Süden rollt, brechen Tausende italienischer Gastarbeiter mit wollener Unterwäsche in den kalten Norden zu einem Neuanfang im Wirtschaftswunderland Bundesrepublik auf.
Als Architekten hat Necko, gut beraten, Egon Eiermann beauftragt, einen herausragenden Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Eine Sachlichkeit, die Eiermann im persönlichen Umgang mit seinem Auftraggeber allerdings vermissen lässt. Es kommt zu ernsthaften Auseinandersetzungen, weil beide, der Bauherr wie sein Architekt, ihre Ideen ohne Kompromisse und sehr vehement durchsetzen wollen. Ich erinnere mich an einen Abend, an dem mein Pflegevater wütend nach Hause kommt, weil Egon Eiermann gegen seinen Willen, aber auf seine Kosten Hunderte der gerade erst installierten Wanduhren in dem riesigen Gebäude hat austauschen lassen. Sie haben dem Architekten einfach nicht mehr gefallen. Auch das an zwei überdimensionalen Kabeln hängende, aufwendige flügelähnliche Vordach der neuen Firmenzentrale stellt wegen der nicht vorhersehbaren Kosten das Verhältnis zwischen Architekt und Bauherrn auf eine harte Probe. Später indes eignet es sich vorzüglich als dekorative Kulisse für den spektakulären Empfang, den die Firma 1960 dem frischgekürten Bronzemedaillengewinner bereitet. Jahrzehnte danach werde auch ich mich intensiv mit Eiermanns Werk auseinandersetzen, allerdings nicht als Bauherrin, sondern als Herausgeberin von Architekturbüchern und als Kuratorin.
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Trotz meines belasteten Wiedereinzugs in das Haus in der Kleebergstraße gibt es immer wieder gute Momente, in denen ich die Vertrautheit zwischen mir und meiner Pflegemutter ebenso genieße wie das vermeintliche Gefühl der Zugehörigkeit zum Familienunternehmen. Ich darf mir nach Musterungen im Neckermann-Atelier von den nicht in die Katalogkollektion aufgenommenen Kleidern die schönsten aussuchen und mir sogar zu Bällen Abendkleider anfertigen lassen. Die Anproben finden wie die meiner Pflegemutter in deren Ankleidezimmer statt, das mit seinem flauschigen, hellbeigefarbenen Teppich, den Familienfotos an den Seidentapeten, den Vitrinen mit Elfenbeinminiaturen und der über die zierlichen Sitzmöbel verteilten Steifftier-Menagerie etwas überraschend Intimes, Mädchenhaftes ausstrahlt. Bevor die Direktrice, immer eine Handvoll Stecknadeln zwischen den
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