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Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Feireiss
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Familie Neckermann einsetzt, hat das Treffen arrangiert. Papst Pius XI. zeigt sich aufgeschlossen und erklärt, die junge Braut könne ihren protestantischen Glauben beibehalten, wenn sie verspreche, die zukünftigen Kinder katholisch zu erziehen. Annemi verspricht es, und sie wird es halten.
    Als meine Großmutter mir Jahrzehnte später von der Privataudienz bei Pius XI. erzählt, ist ihre Erinnerung daran noch immer lebendig. Sie ist nicht nur von der verständnisvollen Reaktion des Pontifex beeindruckt, die gleich zwei Familien aufatmen lässt, sondern auch von der Begegnung mit diesem von stillem Ernst und nachdenklicher Frömmigkeit geprägten Kirchenmann und dessen Haltung, dass jeder Mensch seinem in der Taufe erworbenen Glauben treu bleiben könne. Pius XI. vertraut jedoch darauf, dass die Überzeugungskraft der katholischen Glaubenslehre am Ende siegen werde. Bei meiner Pflegemutter hat sie es nicht. Sie ist ihrem protestantischen Glauben treu geblieben.
    Die Brautleute Josef und Annemarie können, nach erfolgreich abgeschlossener Mission von ungetrübtem Glück beseelt, nun vor den Traualtar treten und dies auch noch mit dem Segen des Papstes. Am Morgen des 16. August 1934 steigt Josef in den Lincoln mit Chauffeur, den ihm sein zukünftiger Schwiegervater zur Verfügung gestellt hat, um seine Braut für die Kirche abzuholen. Wegen einiger Zwischenfälle verspätet sich der Bräutigam, was Annemi mit einem fragenden »Wo bleibst du denn, Necko …?« quittiert. Ein Satz, den wir Kinder später immer wieder aus ihrem Munde hören, manchmal ärgerlich, meist aber resigniert.
    Was den Bräutigam an seiner Hochzeit besonders beeindruckt, ist, wie liebevoll und aufwendig seine Mutter den großen Tag für ihn und seine Braut ausgerichtet hat. Die Kirche gleicht einem Meer aus weißen Blumen, und das anschließende Fest im »Russischen Hof«, damals, wie Josef voller Stolz feststellt, »das vornehmste Hotel der Stadt«, wird im großen Stil gefeiert, so wie es sich für einen Neckermann gehört. So berauschend das Hochzeitsfest ist, so ernüchternd gestaltet sich die anschließende Hochzeitsreise. Als ihre frisch getraute neunzehnjährige Jüngste zusammen mit ihrem Mann auf dem Weg nach Venedig ist, wird Agnes Brückner krank. Kaum in der Lagunenstadt angekommen, erreicht das Honeymoonpaar ein Telegramm folgenden Inhalts: »Mutter liegt im Sterben.« Die Hochzeitsreise wird abgebrochen und Großmutter Brückner bald wieder gesund.
    Das Hochzeitsfoto zeigt zwei große Kinder, sehr schön und sehr zart. Dennoch spricht nichts Vitales, Fröhliches aus dem Foto des schönsten Tages im Leben. Der dunkle Hintergrund, der eine kunstvoll bemalte Stofftapete erkennen lässt, wirkt elegant und stilvoll, und so sind auch die beiden Brautleute gekleidet. Annemi trägt ein hochgeschlossenes, eng anliegendes Brautkleid, Necko einen Frack mit Myrte am Revers. Seine schmale, feingliedrige Hand, an der ein Siegelring ins Auge fällt, hält einen schwarzen Zylinder und einen weißen Handschuh, während die Hände der Braut ein Blumenbouquet aus weißen Orchideen umfassen, dessen Bänder dekorativ bis zum Boden fließen und dort mit der langen Schleppe eins werden, die aus optischen Gründen im Vordergrund des Bildes drapiert ist. Josef steht hinter seiner zierlichen Frau, sie berühren sich nicht, doch man spürt, diese beiden Menschen haben ähnliche Vorstellungen von dem Weg, den sie gemeinsam gehen, und dem Rahmen, in dem sie sich bewegen wollen. Die ernsten, gefassten Gesichter des Brautpaars mit dem vorsichtigen Ansatz eines Lächelns berühren mich.
    Als Annemi und Necko heiraten, haben meine Eltern bereits die ersten vier Jahre ihrer Ehe hinter sich. Mit Zielstrebigkeit und nicht ohne dramatische Effekte haben sie sich über alle Hindernisse hinweggesetzt. Sie sind jung, verwöhnt, lebenslustig und vor allem verliebt. Im September 1931 kommt mein Bruder, der wie sein Vater und sein Großvater Hans heißt, aber Mockel genannt wird, zur Welt und macht deutlich, wie ernst es Mady mit ihrer Warnung bezüglich ihrer Jungfräulichkeit gewesen ist. Mein Vater hätte gern noch etwas mit dem Nachwuchs gewartet, dennoch kann man den Erstgeborenen als Wunschkind bezeichnen. Das junge Paar wohnt zu Beginn seiner Ehe auf dem Anwesen meiner Großmutter Neckermann am Friedrich-Ebert-Ring in Würzburg, das damals noch außerhalb der Stadt im Grünen liegt. An den Walnussbaum, den meine Eltern am Tag ihrer Hochzeit pflanzen, kann ich mich

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