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Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Feireiss
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entzündet.
    Großmutter Neckermann und Großmutter Lang, die auf der linken Mainseite in Würzburg lebt, überbieten sich gegenseitig beim Verwöhnen der Enkel. Da bei den Kindern Rachitis diagnostiziert wird, stellt Großmutter Neckermann ein Erholungsprogramm auf. Einmal täglich dürfen die Geschwister in Begleitung des Hausmädchens Therese, das meine Großmutter mit sechzehn Jahren bei sich aufnimmt und die ihr bis zu ihrem Tod treu ergeben dient, einen Spaziergang von der Sterngasse am Mainufer entlang über die Löwenbrücke zu ihrer Großmutter Lang machen. Sie tun es mit Freude, denn dort wartet schon ein Glas Rotwein auf sie, das mit einem Zuckerei angereichert ist. Der Alkohol, darin sind sich beide Großmütter einig, ist in diesem Fall als Medizin zu betrachten und somit erlaubt.
    Mockel, der mit fünf Jahren schon lesen und schreiben kann, schickt begeisterte Briefe an die Eltern. Er tippt auf der Schreibmaschine der Kohlengroßhandlung Neckermann einen Brief an seinen Vater: »Du sollst einmal versuchen, eine Streichholzschachtel mit dem Mund vom Boden aufzuheben. Nichts darf den Boden berühren, keine Hände und kein Knie. Ich kann es in Grätsche und Hocke.« Aus dieser Zeit stammt auch ein Weihnachts-Wunschzettel. Mein Bruder hat zehn Wünsche an das Christkind, und sie sind durchnumeriert. Der erste Wunsch ist ein Weihnachtsbaum, der letzte »ein paar Geschenke zum Selberbasteln fürs nächste Jahr«, dazwischen hofft er auf »etwas Schokolade, einen Drehbleistift, ein paar Heftchen zum Lesen, eine Schreibmappe und ein paar Gesellschaftsspiele«. Spielsachen für Jungen seines Alters sind nicht darunter.
    In Würzburg sind nicht nur die Geschwister glücklich, die dank der doppelten großmütterlichen Pflege schon bald wieder zu Kräften kommen, sondern auch die beiden Großmütter. Für Margareta Lang ist es ihr letzter Sommer.
    »Ich bin da«, steht in Kinderschrift unter einem kleinen handkolorierten Bildchen, das eine Wiege zeigt. Darin kann man ein Baby vermuten, von dem aber nichts zu sehen ist. Auf die Rückwand der Wiege ist ein rotes Herz gemalt. Es sieht so aus, als wäre dieses Baby direkt von irgendwoher in die Wiege gefallen. Kein Name steht da, nicht der des Kindes und auch nicht der der Eltern. Aber Sonne, Mond und Sterne, um die Wiege herumdrapiert, signalisieren, dass wohl alles seine Ordnung hat. Klappt man das Kärtchen auf, ist zu lesen: Eva Kristine Lang, 1. Juli 1942, Berlin-Nikolassee, Kirchweg 27. Mehr nicht. Das scheinbar elternlose kleine Wesen ohne erkennbare familiäre Bindung, die wichtig genug gewesen wäre, in der Geburtsanzeige genannt zu werden, bin ich wohl immer geblieben, auch in der Zeit, als meine Eltern noch am Leben sind.
    Dass auch ich, wie zuvor meine Schwester Uschi und lange vor ihr meine Großmutter Neckermann, eigentlich ein Junge hätte werden sollen, steht in einem Gedicht, das der treue Familienchronist Jopi Pfeiffer zu meiner Geburt verfasst hat. Doch während mein sonst so gläubiger Urgroßvater Franz Josef beim Anblick seiner fünften Tochter Jula den gotteslästerlichen Ausspruch getan haben soll: »Gottes Wunder – alles Plunder«, halten sich meine Eltern bei meiner Geburt mit ähnlich abfälligen Bemerkungen bezüglich meines Geschlechts zurück. Auch das Gedicht zu meiner Geburt endet versöhnlich: »Jetzt klein – ein Mädel bloß – einst wird es groß!«
    Für ihr viertes Kind erhält meine Mutter ein knappes Jahr später das »Ehrenkreuz der deutschen Mutter«. Den entsprechenden Ausweis stellt am 31. Mai 1943 der Ortsgruppenleiter Berlin-Schlachtensee aus.
    Auch durch die Namengebung wird das Neugeborene von der Familiengeschichte abgeschnitten. Im Gegensatz zu meinen Geschwistern wird mir kein Vorname aus der verzweigten Ahnenreihe zuteil, die eine Fülle wohlklingender Mädchennamen aufzuweisen hat. Stattdessen kämpft mein Vater, in Bewunderung für die französische Königin Marie Antoinette, darum, seine jüngste Tochter mit deren Namen schmücken zu dürfen. Die Tatsache, dass im Dritten Reich fremdländische Vornamen verboten sind und jeder auf das traditionsreiche deutsche Namengut zurückgreifen muss, hat mir im Laufe meines Lebens sicher Hänseleien und spöttische Bemerkungen erspart. Bei seinem zweiten Vorstoß hat mein Vater, auch wenn es sich dabei wieder um eine ausländische Herrscherin handelt, mehr Glück und ich auch. Er kann den Beamten davon überzeugen, dass Königin Kristina von Schweden durchaus in das

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