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Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Feireiss
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vermutlich auch selbst abgetippt hat, enthält Passagen, die viel über ihn und seine Haltung aussagen: »Vertraue niemandem außer der Stimme des eigenen Gewissens! Sei aufrichtig vor allem gegen Dich selbst! Erforsche Dein eigenes Wesen! Gehe Deinen eigenen Weg! Werde, der Du bist!« Auf demselben Blatt steht auch ein Text von Klaus Mann, der auf Gide reagiert: »Gide prägte mir ein, dass jedem von uns sein eigenes individuelles Gesetz mitgegeben ist, welches immer wieder aufs Neue befragt und ergründet, immer wieder befolgt sein will, ohne Rücksicht auf Mode und Vorurteile, ohne Kompromiss. Sich selbst treu sein, darauf kommt es an. Wer sich selbst verrät, wird auch der Gemeinschaft, dem sozialen Ganzen nicht dienen können. Je unabhängiger und konsequenter die Persönlichkeit, desto größer der Beitrag, den sie zum allgemeinen Wohl leisten wird.«
    Wenn meine Mutter Zeit zum Schreiben findet, handelt es sich mit wenigen Ausnahmen um Briefe. Ihre Korrespondenz in den Hofheimer Jahren sagt viel über ihren Gemütszustand aus, auch wenn sie selten von sich berichtet. Alle Briefe dieser Jahre sind wohl immer in großer Eile verfasst. Muße zum Schreiben hat sie nicht. Je betroffener sie ist, desto undeutlicher das Schriftbild, die Buchstaben werden größer, schräger und spitzer, so als würden sie ihr gleich davonfliegen. Nahezu kein Satz ist grammatikalisch richtig, von Rechtschreibung und Kommasetzung ganz abgesehen. Die Ursache für ihre vielen Briefe in dieser Zeit, vor allem an ihre Schwägerin Annemi, ist weniger in einem ausgeprägten Mitteilungsbedürfnis zu suchen als darin, dass Mady es als ihre persönliche Verpflichtung ansieht, den Kontakt zur Familie ihres Bruders Josef nicht abreißen zu lassen. Sie möchte die beiden Familien zusammenhalten.
    Am 31. Oktober 1945, die Familie Lang lebt zu dieser Zeit noch in Hofheim, wird mein Pflegevater Josef Neckermann verhaftet, aber erst am 1. Dezember dieses Jahres übergibt man ihm die Anklageschrift, in der er beschuldigt wird, gegen eine Anordnung der Militärregierung verstoßen zu haben. Am 11. Dezember 1945 wird das Urteil gesprochen: schuldig. Mein Pflegevater schreibt: »Gemessen am Verlauf des Prozesses erschien mir das Strafmaß fast milde: ein Jahr ›Hard Labour‹, Zuchthaus.« Ein unglücklicher Zufall will es, dass Josef, der in Würzburg in Handschellen abgeführt wird, seiner Mutter auf der Straße begegnet. Er beschreibt das mit den Worten: »Nie zuvor und niemals danach in meinem Leben habe ich größere Scham empfunden als in diesem kurzen Augenblick.« Auf einem Wurfzettel des Würzburger Oberbürgermeisters, in dem alle Personen aufgeführt werden, die vom US-Militärgericht der Stadt ihrer »gerechten Strafe« zugeführt werden, steht unter der Nummer 490 der Name Josef Neckermann.
    Trotz der wachsenden Verpflichtungen durch die Hofheimer Familiengemeinschaft besucht Mady ihren Bruder Josef regelmäßig in der Haft. Immer bringt sie Lebensmittel, Medikamente und Briefe von der Familie mit. Meine Schwester Uschi erinnert sich daran, wie lästig es ihr ist, wenn sie von ihrer Mutter den Auftrag bekommt, an Onkel Josef im Gefängnis zu schreiben. Entsprechend fallen ihre Briefe aus. Mein Bruder Mockel dagegen schreibt wie seine Mutter gerne Briefe. Er erzählt seinem Onkel Josef, dass er sich fast den ganzen Tag draußen herumtreibt, am liebsten seine Zeit am Pool des Hofheimer »Military Gouvernements« verbringt, dass er sich gern auf Englisch unterhält und mit Begeisterung Auto fährt. Er fügt hinzu: »Ich kann es schon recht gut, weil Vati und Mami mich öfters fahren lassen.« Da ist er vierzehn Jahre alt.
    Mady möchte ihren Bruder mit ihren Briefen aufmuntern und ihm Zuversicht geben. Sie schreibt: »Die Hauptsache ist, sich nicht unterkriegen zu lassen. Wir müssen unseren Eltern von Herzen dankbar sein, uns so ein gutes Naturell mitgegeben zu haben. Auch wenn Stunden kommen, in denen man ganz down ist, so lassen wir uns nicht klein bekommen und fangen mit neuem Mut wieder an. Nicht wahr, liebes Brüderlein?« Während ihr Bruder Josef wegen »Betreiben eines Geschäftes ohne Erlaubnis« verurteilt wird und lange auf seine Entnazifizierung warten muss, kommt ihr Mann Hans mit heiler Haut davon, da er, strategisch vorausblickend, seinen Freund und Geschäftspartner Toni Rommel für sich eine Strafe hat absitzen lassen und zudem kurz nach dem Einmarsch der Amerikaner entnazifiziert wird.
    Meine Schwester Uschi erinnert sich

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