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Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Feireiss
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sehr, sehr liebgehabt, auch wenn ich vielleicht mehr Frau als Mutter war. Ich wünsche ihnen beiden, dass sie frohe, brauchbare Menschen werden, die mit Deiner Hilfe, Liebe, aber auch mit Strenge ihr Ziel erreichen. Küss sie innigst von mir.« Und noch etwas möchte Mady in Erwartung ihres Todes ansprechen: »Wenn Du einer Frau begegnest, von der Du glaubst, glücklich mit ihr und den Kindern zu sein, so geh nicht weiter, hol sie und werde glücklich. Ich wünsche Dir dies von ganzem Herzen. Dann wird mein Schmerz, Dich allein lassen zu müssen, etwas leichter. Ich liebe Dich, ich liebe Dich wie nichts auf der Welt. Ich küsse Deine lieben Augen, Deine zärtlichen Hände, Deinen Mund, Deinen lieben Mund und alles, was ich liebe, und alles, was mich glücklich machte. Ich segne Dein weiteres Leben, Dein Leben als treuster Freund der Kinder, Dein Leben als Mann, als Mensch. Werde glücklich, so wie wir es waren. Leb wohl, hab Dank.«
    Ich lese diesen Brief immer und immer wieder. Hat sie ihn in einem Krankenhaus geschrieben, in der Nacht vor einer schweren Operation? Das würde erklären, warum ihr Mann »spätnachts«, wie sie zu Beginn des Briefes vermerkt, nicht bei ihr ist. Hat mein Vater diesen Brief jemals gelesen? Sie muss ihn vor 1938 geschrieben haben, da sie nur ihre beiden großen Kinder erwähnt. Ich frage meine Schwester Uschi, frage Verwandte, niemand kann sich an eine schwere Krankheit meiner Mutter erinnern. Meine Schwester Uschi vermutet, dass es sich um eine ihrer mitunter lebensbedrohlichen Fehlgeburten gehandelt haben könnte. In dieser Winternacht des 13. Januar glaubt Mady, kein Leben mehr vor sich zu haben, aber das, was hinter ihr liegt, ist durchdrungen von zärtlicher Liebe. Noch nach so vielen Jahrzehnten bin ich froh für meine Mutter, dass diese wundersame Frau, von der ich so gerne noch viel mehr erfahren hätte, zusammen mit ihrer einzigen großen Liebe gestorben ist.
    Mein Vater begleitet mich mein ganzes Leben lang. Er beunruhigt und fasziniert mich, er steht im Zentrum meiner Sehnsüchte und meiner Phantasien. Das Fehlen eigener Erinnerungen an ihn und die nicht versiegende Flut von Fragen führen fast zwangsläufig zur Mythenbildung, die Teil der Suche nach der Vergangenheit ist und darum auch ihren Platz beansprucht. Dabei bilden seine komplexe Persönlichkeitsstruktur, seine hohe Intelligenz und seine eigenwillige Interpretation von Moral den Hintergrund vieler Handlungen, die für mich nur schwer nachzuvollziehen sind. Auch sein in wenigen Jahren erworbenes bemerkenswertes Vermögen, das, wie ich im Laufe meiner Recherche feststelle, durch ebenso weit verzweigte wie undurchsichtige geschäftliche Transaktionen zustande gekommen ist, wirft kritische Fragen auf. Meiner sehnsüchtigen Liebe zu ihm, dem nie Gekannten, hat das keinen Abbruch getan. In einem früheren Leben wäre mein Vater mit seiner Unerschrockenheit bis hin zur Skrupellosigkeit sicher Pirat auf den Weltmeeren oder Grabräuber in Ägypten gewesen. So wird er Jurist und später durch zwingende Umstände Großkaufmann.
    Die Tatsache, dass mein Vater nie über seine Geschäfte spricht, dass er sechs Sprachen fließend beherrscht, darunter Russisch und Polnisch, dass er einen scharfen analytischen Verstand hat, der Umstand, dass die Amerikaner, als sie in Hofheim einmarschieren, umgehend zur Apotheke kommen, um mit Dr. Hans Lang zu sprechen, dass mein Vater sofort entnazifiziert wird und dass er durch seine nazifeindlichen Veröffentlichungen den amerikanischen Behörden bekannt gewesen sein muss, das alles hat mich über viele Jahre glauben lassen, er könnte für sie gearbeitet haben. Es hat sich nicht als wahr herausgestellt. Und wie passt das alles mit seinem Eintritt in die NSDAP 1942 zusammen, wie mit seinen zweifelhaften beruflichen Aktivitäten in Polen, wie mit seinem hohen moralischen Anspruch an sich selbst, den er in der Praxis immer wieder über Bord wirft?
    Dass sich auch mein jüngerer Sohn Lukas an der Großvater-Suche beteiligt, die sich wie ein ansteckender Virus in der Familie ausbreitet, dokumentiert sein Schreiben an das Bundesarchiv in Berlin vom Frühjahr 1998 mit der Frage, ob dort Unterlagen über Dr. Hans Lang vorhanden seien. Dem Hinweis, sich an das Staatsarchiv Würzburg zu wenden, geht er nach und wird fündig. »Die Überlieferungen der NSDAP im Gau Mainfranken« seien zwar »relativ schlecht«, heißt es in der Antwort des Staatsarchivs, »da die Akten des Landratsamtes Schweinfurt und der

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