Wie ein Haus aus Karten
und die Schiebergeschäfte«. Nach dreitägiger Verhandlung wird das Urteil gesprochen, das dem Antrag der Staatsanwaltschaft entspricht. Dr. Grüning muss wegen der Schiebergeschäfte und der begangenen Untreue für zwei Jahre und sechs Monate ins Gefängnis, der Angeklagte Engler für ein Jahr und sechs Monate und Winkler für ein Jahr. Dem früheren Staatsanwalt Grüning wird außerdem eine Geldstrafe von 30 000 Mark auferlegt. Auch Engler und Winkler erhalten Geldstrafen.
Dass selbst der den Prozess leitende Landesgerichtsdirektor Dr. Apelt Umfang und Ausmaß der Vergehen nicht überblicken und damit auch nicht befriedigend klären kann, räumt er in seiner Urteilsbegründung ein, in der er zudem bekennt, dass »in diesem Verfahren in der Ermittlung und durch das Gericht nicht alles voll ausgeschöpft werden konnte, weil die Angeklagten zu früh aus der Untersuchungshaft entlassen worden sind und Verbindung mit den Zeugen suchen konnten«. Gegen Ende des Zeitungsartikels heißt es, dass nicht nur die Angeklagten, sondern auch der Textilkaufmann Dr. Lang, der früher ebenfalls Jurist gewesen sei, »zweifelhafte Geschäftspraktiken« an den Tag gelegt hätten: »Der Großteil des Volkes ist arm und ehrlich«, so der Vorsitzende, »und die unmoralische Haltung nur bei denjenigen festzustellen, die über gewisse Waren und Kapitalien verfügen.«
Der Gerichtsreporter äußert sich dennoch zufrieden über den Ausgang des Prozesses: »Das Gericht hat mit eindrucksvollen Strafen die Taten der Angeklagten geahndet. Auf der Anklagebank fehlte jedoch der elegante Textilgroßkaufmann Dr. Lang, der sein gewaltiges Stofflager erst einen Tag nach der Verhaftung Grünings anmeldete. Hier wird es, wie auch der Vorsitzende des Gerichts ausdrücklich vermerkte, Aufgabe der Staatsanwaltschaft sein, die erforderlichen Schritte einzuleiten.« Es ist anzunehmen, dass auf meinen Vater schon bald ein Prozess ähnlicher Art zugekommen wäre. Allerdings vermute ich, dass es ihm wieder gelungen wäre, als freier Mann daraus hervorzugehen.
Dr. Grüning, dessen Frau zum damaligen Zeitpunkt ein Kind erwartet, sitzt seine Strafe ab. Nach dem Tod meines Vaters wendet sich Grüning an meinen Pflegevater Josef Neckermann und fordert ihn auf, das Versprechen, das Hans Lang ihm gegeben habe, einzulösen, da er, Neckermann, ja nun dessen Firmen übernommen habe. Mein Pflegevater geht auf das Ansinnen nicht ein. Dr. Grüning tritt daraufhin an die ehemalige Sekretärin meines Vaters, Ruth Gatzke, heran. Er möchte Josef Neckermann auf Zahlung der 100 000 Mark verklagen und bittet sie, in einem Prozess als Zeugin aufzutreten. Ruth Gatzke lehnt mit der Begründung ab, sie könne nicht gegen Familienmitglieder aussagen, und seien sie auch noch so entfernt. Jahre später begegnet sie Dr. Grüning zufällig in einem Cafe in der Frankfurter Innenstadt wieder. Als er Ruth Gatzke erkennt, verlässt er den Raum und geht ohne Gruß an ihr vorbei. Er hat ihre Entscheidung von damals weder vergessen noch verziehen.
In die Schiebereien großen Stils ist, wie mir Ruth Gatzke erzählt, auch der damalige Frankfurter Polizeipräsident verwickelt. Der Bundesbruder und Freund meines Vaters aus alten Tagen beteiligt sich indirekt an dessen Schwarzmarktgeschäften, indem er sie stillschweigend duldet und später davon profitiert. Ungeachtet dieser Kontakte kann der Polizeipräsident kurz vor dem genannten Prozess eine Hausdurchsuchung seiner Behörde in der Baracke in Oberursel nicht verhindern. Wenn mein Vater Stoffe größeren Umfangs zu Hause gelagert haben sollte, so sind sie bei der Durchsuchung nicht mehr da. Vielleicht ist er wieder einmal rechtzeitig gewarnt worden.
Meine Mutter berichtet ihrem Sohn in einem Brief ins Internat voller Empörung von diesem Zwischenfall: »Zwei Männer in Zivil kamen, zwei Kriminalbeamte. Eine anonyme Anzeige wegen eines riesigen Stofflagers sei bei ihnen eingegangen. Jeder Schrank, jede Schublade wurde geöffnet. Die Betten wurden umgestülpt.« Und sie fügt hinzu, dass sie um jedes einzelne Stück Stoff und jede Lebensmitteldose gekämpft habe wie eine Löwin. Aus dem Brief meiner Mutter spricht keine Mitwisserschaft, nur echte Entrüstung.
Auch wenn der Prozess für meinen Vater glimpflich abgelaufen ist, die Gefahr ist noch nicht gebannt. Seine Sekretärin Ruth Gatzke berichtet, dass mein Vater sie direkt nach dem Prozess zu sich bestellt. Er legt ihr unmissverständlich nahe, noch in derselben Nacht zu verschwinden,
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