Wie ein Haus aus Karten
Regierung von Unterfranken aus der Zeit des Dritten Reiches leider vollständig den Kriegsereignissen zum Opfer gefallen sind«. Dennoch liege über Dr. Hans Lang eine Gestapoakte vor (Gestapo Würzburg 5575), die auf Anfrage des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes mit der Bitte um bevorzugte Erledigung erstellt worden ist. In dem neunseitigen Dokument vom 16. Mai 1942 geht es vor allem um die Veröffentlichungen meines Vaters und seine politische Haltung zu Beginn des Dritten Reiches. In »spionagepolizeilicher und strafrechtlicher Hinsicht« sei nichts Nachteiliges über Dr. Lang bekannt: »Lang hat in Würzburg guten Ruf und Leumund. Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind geordnet.« Dennoch erstellt die Gestapo eine Liste aller Wahlveranstaltungen der Bayerischen Volkspartei, BVP , bei denen mein Vater 1933 auftritt. Selbst der Vertreter der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeistelle Würzburg, der alle Veranstaltungen besucht und sie jeweils mit dem Vermerk kommentiert: »Die Versammlung verlief ruhig«, kann nicht umhin anzumerken, dass die Ausführungen von Dr. Lang »mit großem Beifall aufgenommen wurden«.
An Beifall als spontanem Ausdruck der Bewunderung hat es meinem Vater nie gefehlt. Auch seine Sekretärin dieser Jahre, Ruth Gatzke, von allen Mausi genannt, bewundert ihren Chef. Sie ist es gewesen, die Großmutter Neckermann in der Würzburger Bombennacht aus dem zerstörten Haus in der Sterngasse in den Luftschutzkeller getragen hat. Ruth wird die Vertraute meines Vaters. Von ihrer Loyalität ihm gegenüber fühlt sie sich auch nach seinem Tod nicht entbunden. Nachdem Hans auch ihr, wie anscheinend allen attraktiven Frauen seiner Umgebung, erst einmal unter den Rock gefasst hat, was ihm seine neue Sekretärin weniger aus moralischen denn aus pragmatischen Überlegungen untersagt, kommt es zu einer vertrauensvollen, freundschaftlichen Beziehung zwischen den beiden. Sie können sich aufeinander verlassen, was angesichts der vielfältigen und oft undurchsichtigen Geschäfte meines Vaters die entscheidende Voraussetzung für ihre Zusammenarbeit ist. Ruth Gatzke, verschwiegen und geschickt, ist sie auch an seiner Seite, als er mit zunehmendem Erfolg in den Schwarzmarkthandel einsteigt.
Mein Cousin Helmut Knab erinnert sich, dass sich die Schwarzmarkttätigkeit seines Onkels Hans nicht auf Stoffe, Teppiche, Pelze, Tabak und technische Geräte beschränkt. Auch eine Feldbahn-Lokomotive mit Anhängern und den passenden Eisenbahnschienen hat mein Vater im Angebot. Bei der beginnenden Bautätigkeit der Nachkriegsjahre keine schlechte Investition. In der kräftigen, tiefen Stimme meines damals achtzigjährigen Cousins schwingt noch immer Bewunderung mit, als er sagt: »Hans war ein Schieber, aber ein genialer.« Als Helmut seinen Patenonkel 1947 besucht, führt Hans ihn in das eleganteste Restaurant Frankfurts, das »Forsthaus«. Helmut erzählt, als sähe er es noch heute vor sich, wie Männer in Zobelmänteln und Brillantringen an den fleischigen Fingern seinem Onkel kollegial auf die Schulter klopfen. Als Hans in einer Zeit, in der kaum jemand genug zum Leben hat, eine Flasche Champagner für hundert Mark bestellt, macht das auf Helmut, der damals noch immer von einer eigenen Kamera träumt, einen unauslöschlichen Eindruck. Obwohl ich bei meinen Nachforschungen immer wieder höre, dass Schwarzmarkthandel damals ganz normal gewesen sei, so muss mein Vater wohl auch auf diesem Gebiet besonders talentiert gewesen sein.
Im Rahmen meiner Nachforschungen berichtet mir Ruth Gatzke von einem spektakulären Prozess, in den mein Vater verwickelt ist und bei dem er nur knapp mit heiler Haut, wenn auch angekratztem Image davonkommt. Bei dieser Gelegenheit erwähnt sie einen Zeitungsartikel, den sie allerdings nicht mehr finden kann. Wenige Wochen vor diesem Prozess schickt Hans sie mit 150 000 Mark in bar, die er in ungebündelten Scheinen in einer Aktentasche verstaut, nach Bremen ins Hotel Kaiserhof. Dort soll sie einen seiner Geschäftspartner treffen und ihm das Geld übergeben. Es ist nicht das erste Mal, dass mein Vater seiner loyalen Sekretärin größere Bargeldbeträge, immer verbunden mit einem Auftrag, der nicht auf offiziellem Wege abgewickelt werden kann, anvertraut. Ruth Gatzke liebt das Abenteuer. Sie sieht nicht nur verwegen aus, sie ist es auch.
Für die Reise nach Bremen gibt ihr Hans seinen Opel, obwohl er weiß, dass seine Sekretärin zwar Auto fahren kann, aber keinen Führerschein besitzt,
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