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Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Feireiss
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und es außerdem nach Alliiertenbeschluss nicht erlaubt ist, sich weiter als sechs Kilometer vom Heimatort, in diesem Fall Frankfurt, zu entfernen. Im Gegensatz zu ihrem Chef verfügt sie nicht über eine »Interzonen-Reisegenehmigung für das besetzte Deutschland«, mit der er sich ungehindert mit dem Auto bewegen kann. Vorsorglich drückt Hans seiner Sekretärin eine Flasche Whisky in die Hand, von dem er in seinem Büro immer erlesene Marken vorrätig hat, ohne jemals selber einen Tropfen Alkohol zu trinken. Ruth Gatzke fährt los und wird prompt von drei schwarzen GIs angehalten. Die Flasche leeren sie alle vier gemeinsam. Sie kommt gut in Bremen an, trifft den Geschäftsfreund und überreicht ihm die Aktentasche mit den Geldscheinen, so als wäre diese Transaktion das Selbstverständlichste von der Welt.
    Der Zufall, der mir bei meinen Recherchen immer wieder zu Hilfe kommt, will es, dass ich den von Ruth Gatzke erwähnten Zeitungsartikel Monate nach unserem Gespräch beim wiederholten Durchforsten alter Unterlagen entdecke. Der Ausschnitt, der inzwischen so vergilbt ist, dass ich ihn kaum entziffern kann, bringt Licht in eine in jeder Weise undurchsichtige Geschichte. In der Überschrift des Artikels aus der »Frankfurter Zeitung« vom 22. August 1947 kommt mein Vater nur rein äußerlich gut weg. Da steht: »Eleganter Großkaufmann kommt doch nicht ins Gefängnis.« Dr. Hans Lang und seinem Freund, dem Rechtsanwalt Dr. Grüning, werden Schwarzmarktschiebereien mit Tabak, Butter und Stoffen in größerem Ausmaß zur Last gelegt. Da die Anwaltspraxis von Dr. Grüning, wie Ruth Gatzke mir erzählt, zu diesem Zeitpunkt nicht mehr viele Klienten hat, die Textilunion und die weiteren Firmen meines Vaters aber florieren, nimmt Dr. Grüning die ganze Schuld auf sich, die er schließlich im Gefängnis in Butzbach absitzen muss.
    Diese strategisch kalkulierte Absprache endet in einer Tragödie. Grüning, der sich darauf verlässt, dass sein Geschäftspartner das ihm gegebene Versprechen einlöst, für seine Familie zu sorgen und Vermögen für sie anzuhäufen, während er die Strafe im Gefängnis absitzt, bekommt sein Geld nicht. Mein Vater kommt ein halbes Jahr nach dem Prozess bei einem Autounfall ums Leben. Das Schicksal war bei dieser Abmachung nicht einkalkuliert.
    Der Bericht des Gerichtsreporters Rudolf Eims ist ebenso engagiert wie verworren, weswegen ich den Artikel mehrmals lesen muss, um den Sachverhalt zu verstehen. Es geht dem Reporter wie dem Richter nicht nur um juristische Fakten, sondern vor allem um eine moralische Bewertung. Was ich lese, klingt wie ein Kriminalroman, bei dem ich den wirklichen »Täter« kenne.
    »Ein eigenartiges Kleeblatt« nennt der Erste Staatsanwalt Dr. Kosterlitz in seiner Anklagerede vor der Frankfurter Strafkammer die Angeklagten: den früheren Staatsanwalt Dr. Johannes Grüning, der »von Ehrgeiz besessen danach trachtete, ein namhafter Wirtschaftsführer zu werden«, den Kaufmann Horst Engler, »der sich als Sekretär und Vertrauter des kommenden großen Mannes fühlte und dessen unredliche Handlungen mitmachte«, und den Ingenieur Fritz Winkler, »dem es nicht angemessen schien, in einem kleinen Handwerksbetrieb zu arbeiten, nachdem er im Krieg den Rang eines Leutnants bekleidet hatte«. So fanden sich, laut Staatsanwalt, »die drei in der ominösen Hotel- und Restaurantbetriebe GmbH zusammen, die noch nicht einmal im Handelsregister eingetragen war«.
    Das ist der Augenblick, an dem mein Vater ins zwielichtige Spiel kommt: »Der Textilgroßkaufmann Dr. Lang stellte«, wie es in dem Artikel heißt, »Grüning nicht nur ohne jeden Vertrag 720 000 Mark zur Verfügung, er übergab ihm auch ohne Bestandsaufnahme, einfach aus dem Handgelenk heraus, zweitausend Meter Stoff, die zum Teil verwandt wurden, um Handwerker zu schmieren«. Weiter steht im Gerichtsbericht, dass Dr. Grüning mit einer »biederen Frau vom Land einen fragwürdigen Kreditvertrag ohne Datum und ohne die erforderliche juristische Form« abgeschlossen habe. Grüning hatte von dieser Frau Brillanten zu treuen Händen bekommen, um sie zu verkaufen und sicher anzulegen. Er veräußerte jedoch die Brillanten um ein Drittel billiger als vereinbart und investierte das Geld in Stoffe und Butterberge. Auch Grünings Sekretär, Engler, und der Ingenieur Winkler beteiligten sich an den Geschäften.
    »In scharfer Weise«, so fährt der Prozessbeobachter fort, »geißelte der Staatsanwalt die Untreue, die Unterschlagung

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