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Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Feireiss
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Familie trifft, für meinen Pflegevater eine unerwartete berufliche Chance bereit. Er nutzt sie. Er hat, wie mein Vater vor ihm, der die Wahl des Wohnorts wie des Firmenstandorts in strategischer Voraussicht getroffen hat, erkannt, dass Frankfurt der beste Ausgangspunkt für den Aufbau eines Unternehmens ist. Ein offizielles Schriftstück, das ich in den Unterlagen meiner Großmutter Neckermann finde, die sie mir lange vor ihrem Tod in die Hand gedrückt hat, ist nicht nur aufschlussreich in Bezug auf die höchst erfolgreichen beruflichen Unternehmungen meines Vaters. Das Dokument wird 1953 auf Betreiben meines Pflegevaters mit dem Ziel angefordert, Lastenausgleichsansprüche auf das durch den Krieg verlorengegangene Vermögen von Dr. Hans Lang anzumelden. In dem Schreiben des Lastenausgleichamtes steht: »Der am 18. 1. 1948 infolge eines Autounfalls verstorbene Dr. Hans Lang war in den 30er Jahren Rechtsanwalt in Frankfurt a. M.«, heißt es da. »1936 siedelte er nach Berlin über, wo er sich der Textilbranche widmete. Durch Kaufvertrag vom 1. 7. 1936 erwarben die Eheleute Dr. Lang die Firma Ahders und Basch GmbH in Berlin zum Preis von 300 000 Reichsmark, welche am 15. 12. 1937 in die Einzelhandelsfirma ›Hans Lang Modellige Kleider‹ umgewandelt wurde. Sie hatte ihren Sitz in Berlin 2, Jerusalemer Straße 22, später Leipziger Straße 37 und Friedrichstraße 174. Alleininhaber der Firma war Dr. Hans Lang.«
    Im Wortlaut geht es weiter: »Nachdem die Firma einen bedeutenden Aufschwung genommen hatte, gründete Dr. Lang in Form von Bekleidungswerken Zweigniederlassungen in Holland, Polen, Tschechoslowakei. Nach dem Zusammenbruch ging Dr. Lang nach Hofheim, Mittelfranken. Es steht fest, dass er größere Barmittel und erhebliche Warenbestände mitgebracht hat. Die genaue Höhe ist nicht feststellbar. Aktenkundig ist in Berlin ein Umsatz im Jahr 1942 von 4 Millionen 386 Tausend und 6 Hundert 83 Reichsmark (4.386.683,00) und im Jahr 1943 von 6 Millionen 76 Tausend und 101 Reichsmark (6.076.101,00). Nach den Feststellungen der Bezirksfahndungsstelle des Finanzamtes Frankfurt-West betrug das Einkommen im Jahr 1943 427 090 Reichsmark, so dass eine entsprechende Vermögensbildung ermöglicht war.«
    Damit nicht genug, gründete mein Vater nach dem Krieg unter anderem die »Gesellschaft für Fremdenverkehr, in die er eine Million Reichsmark einbringt«. Das Dokument endet mit der detaillierten Auflistung des Kriegsschadens. Nach für mich verwirrenden Additionen und Subtraktionen von immer neuen Firmen, Zahlungen und Rückzahlungen lautet das Ergebnis des Lastenausgleichamtes: »Dr. Lang bzw. seine Erben sind um den Betrag von DRM  195 000 geschädigt. Der Gesamtschaden beträgt 1.139.500 DM.« Hier endet das Dokument.
    Mein Vater ist bei seinem Tod im Januar 1948, wie seine Sekretärin Ruth Gatzke und sein ehemaliger Geschäftsfreund Dr. Burau berichten, außerdem Teilhaber der Dornier-Werke. Er ist Mitinhaber der Licher Bierbrauerei, Inhaber einer Schenke in Assmannshausen am Rhein, des Gasthauses Bacherach am Main und eines Hotels auf Borkum, außerdem Besitzer zahlreicher Immobilien von der Muthesius-Villa in Berlin bis zum repräsentativen Herrenhaus am Schaumainkai in Frankfurt. Zudem stehen die Verhandlungen zum Kauf von Schloss Reinhardshausen kurz vor dem Abschluss. Meine Schwester Uschi erinnert sich an einen Ausflug mit den Eltern, bei dem sie das eindrucksvolle Kaufobjekt besichtigen.
    In knapp drei Nachkriegsjahren hat mein Vater ein unvorstellbares Wirtschaftsimperium aufgebaut. Was seinen drei Töchtern bleibt, sind das Geld aus dem Verkauf der Muthesius-Villa in Berlin und ein Drittel des Würzburger Grundstücks von Großmutter Neckermann, das Necko von den Lang-Erbinnen günstig erwirbt, da, wie er meint, mit einem Teilgrundstück ohnedies nicht viel anzufangen sei.
    Der »Sprung ins kalte Wasser«, wie Necko die am 6. September 1948, knapp acht Monate nach dem Tod meiner Eltern und meines Bruders, erfolgte Gründung der Textilgesellschaft KG Textilgroßhandlung Neckermann ( TGN ) beschreibt, die auf den Namen seiner Frau ins Handelsregister der Stadt Frankfurt eingetragen wird, ist so kalt nicht. Das Wasser hat mein Vater gut vorgewärmt. Die Kapitaleinlage von 100 000 Mark, die es Annemi erlaubt, als »Komplementärin« aufzutreten, hat seine Mutter, wie Necko schreibt, »zwischenfinanziert«. Als sie dieses Geld eines Tages von ihrem Sohn zurückerbittet, da ihr jüngerer Sohn

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