Wie ein Haus aus Karten
Museen öffneten sich, in denen sie schon bald eigene Architekturausstellungen kuratierten, wie in der Kunsthalle in Hamburg oder im Centre Pompidou in Paris.
Zu Beginn wurde das dynamische Frauenduo belächelt, dann misstrauisch betrachtet, später mit wohlwollendem Kopfschütteln bedacht, schließlich erntete es auch Bewunderung. Die beiden genossen ihren Quereinsteiger-Erfolg, doch sie konnten sich nicht länger darüber hinwegtäuschen, dass die psychischen und physischen Anstrengungen, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, auf ihnen lasteten. Die sich häufenden Momente der Anspannung wie der Erschöpfung schienen die guten Momente, die sie zusammen erlebten, allmählich zu überwiegen.
Die Frau arbeitete neben der Galerie als Redakteurin und Pressereferentin im Internationalen Design Zentrum, ihre Partnerin als Kulturreferentin und Ausstellungsmacherin im Amerika-Haus. Doch während Erstere bei ihrem Arbeitgeber durchsetzte, bei vollem Gehalt ab Mittag zu Hause zu arbeiten, und zudem eine platinblonde jüdische Russin ihre Familie mit Blinis, Borschtsch und an Festtagen mit »gefilten Fisch« versorgte, fühlte sich ihre Mitstreiterin, trotz Unterstützung durch den Ehemann und wechselnde Au-pair-Mädchen für die gemeinsame Tochter, mit Berufstätigkeit und Galerie überfordert.
Der Konflikt zwischen den Frauen war programmiert. Es ging nur vordergründig um die momentanen Lebensumstände, die so verschieden gar nicht waren. Wesentlicher war deren unterschiedliche Wahrnehmung und Bewertung. Ihre Partnerin, ein mitreißendes, strahlendes, vor Vitalität aus den Nähten platzendes Vollweib, begann allmählich unter der eigenen Überforderung ebenso zu leiden wie unter der als Provokation empfundenen Gelassenheit der anderen. Und diese, inzwischen Anfang vierzig, dachte, als sie unter dem Apfelbaum in der Sonne saß und wartete, darüber nach, dass ihre Mitstreiterin ihr zunehmend mehr Arbeit in der Galerie aufbürdete.
Als diese schließlich kam, außer Atem, ihre Tochter auf dem Arm, ließ sie sich in den Gartenstuhl auf der Terrasse fallen, strich sich eine schweißnasse blonde Strähne aus der Stirn und erklärte im Tonfall eines beleidigten Kindes: »So geht es nicht weiter, so nicht!« Ihre kleine Tochter vergrub den Kopf im Schoß der Mutter und verharrte in dieser Stellung.
Die Frauen machten sich gegenseitig Vorwürfe, die eine, weil sie ihre Situation als ungleich schwerer empfand, die andere, weil sie nicht einsah, deswegen auf Dauer deren Arbeit mit übernehmen zu müssen. Als ihre Stimmen im Eifer des Für und Wider laut wurden, hob das Mädchen den Kopf aus dem Schoß der Mutter und sah sie fragend an. Auch die Frauen sahen sich zum ersten Mal an diesem Nachmittag in die Augen, lang und schweigend. Dann, unvermittelt, wie auf ein geheimes Zeichen, lachten beide plötzlich los, so als hätte sich ein Sektkorken überraschend gelöst, erst ein Prusten, dann lautstarkes Gelächter. Ihr jüngster Sohn, der nach vielen vergeblichen Versuchen endlich das Baumhaus erklommen hatte, blickte erstaunt zur Terrasse hinüber, und das Kind der anderen begann sich aus dem Schoß der Mutter zu lösen und lief wie befreit zum Nussbaum. »Was soll’s, wir probieren es noch mal«, meinte die eine aufmunternd, und die andere ergänzte fröhlich: »Es wäre doch gelacht, wenn wir beide das nicht schaffen würden. Schau uns doch nur an, zwei Klassefrauen mitten im Leben.«
Ihre Freundin stand damals am Ende ihres Lebens. Es war gut, dass beide die Zukunft nicht voraussehen konnten. Als sich die Frauen am Gartentor verabschiedeten, fielen sie sich in die Arme, obwohl das sonst nicht ihre Art war. Es war ein unvergesslicher Alles-oder-nichts-Augenblick. Sie hatten sich für »alles« entschieden.
Sie sahen einander nicht wieder. Die Freundin starb wenige Wochen später am Urlaubsort bei einem Verkehrsunfall auf der Landstraße. Sie war sofort tot.
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Die Baracke am Bach II
Der Umzug nach Oberursel bedeutet für meine Eltern die Erfüllung eines Traums. Ein Jahr danach enden hier die großen Hoffnungen einer Familie, die es nicht mehr gibt, während der Traum einer anderen Familie seinen Anfang nimmt. Der Wechsel von einer Familie zur anderen, von der Familie Lang zur Familie Neckermann, vollzieht sich in atemlosem Übergang. Den Tod der eigenen Eltern noch nicht in seiner Endgültigkeit begriffen, tauchen unvermittelt neue Eltern auf, die die Bezeichnung Mutti und Papi für sich
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