Wie ein Licht in der Nacht - Sparks, N: Wie ein Licht in der Nacht
ihr. Jo hielt sie hoch und drehte sie hin und her. »Wow!«, rief sie. »Die hast du bestimmt bei Anna’s Jeans gefunden. Ich liebe diesen Laden!«
»Woher weißt du, dass ich bei Anna’s Jeans war?«
»Weil die anderen Geschäfte hier nicht so schicke Sachen haben. Diese Hose stammt aus dem Kleiderschrank einer sehr reichen Frau, würde ich mal sagen. Viele von den Klamotten dort sind so gut wie nagelneu.« Mit dem Finger fuhr Jo über die Stickerei auf der Tasche hinten. »Echt super! Und geschmackvoll. Was hast du sonst noch?«, fragte sie.
Katie zeigte ihr ein Teil nach dem anderen, und bei jedem fing Jo an zu schwärmen. Nachdem sie alles ausführlich begutachtet hatte, seufzte sie tief. »Okay, jetzt ist es offiziell: Ich bin neidisch. Und ich würde mal schätzen, dass du den gesamten Laden leergekauft hast, oder?«
Katie zuckte die Achseln. Plötzlich war sie verlegen. »Na ja – ich war ziemlich lange dort.«
»Kann ich gut verstehen. Die haben echt fantastische Angebote. Eine wahre Fundgrube.«
Mit einem Blick zu Jos Häuschen erkundigte sich Katie: »Wie läuft’s denn so? Hast du schon angefangen zu streichen?«
»Leider noch nicht.«
»Zu viel Arbeit?«
Jo verzog das Gesicht. »Ehrlich gesagt, nachdem ich alles ausgepackt hatte und das Haus von oben bis unten geputzt war, hatte ich echt keine Energie mehr. Nur gut, dass wir Freundinnen sind – da kann ich wenigstens ab und zu mal rüberkommen, und hier ist es hell und freundlich.«
»Du bist immer willkommen.«
»Danke. Das tröstet mich. Aber der böse Mr Benson will morgen ein paar Eimer Farbe vorbeibringen. Das erklärt auch, warum ich hier bin. Es gruselt mich bei dem Gedanken, dass ich mein ganzes Wochenende mit Streichen verbringen muss.«
»Es ist nicht so schlimm. Wenn du erstmal angefangen hast, geht es schnell.«
»Siehst du meine Hände?«, fragte Jo und hielt die Hände hoch. »Die sind dafür da, gut aussehende Männer zu streicheln und mit feinen Fingernägeln und teuren Diamantringen geschmückt zu werden. Für Farbrollen und dergleichen sind sie nicht geschaffen. Überhaupt nicht für schwere manuelle Arbeit.«
Katie kicherte. »Möchtest du, dass ich dir helfe?«
»Nein, auf keinen Fall. Ich bin eine Expertin, wenn es darum geht, Dinge vor sich her zu schieben – aber du darfst nicht denken, dass ich generell inkompetent bin. In meinem Job bin ich nämlich ziemlich gut.«
Ein Schwarm Stare flog auf und entfernte sich in harmonischer Formation. Unter den Schaukelstühlen knarrten leise die Verandadielen.
»Was machst du denn beruflich?«, fragte Katie.
»So eine Art psychologische Beratung.«
»An der Highschool?«
Jo schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin Trauer-Begleiterin.«
»Oh.« Katie schwieg für einen Moment. »Ich weiß gar nicht genau, was man da tut.«
Jetzt zuckte Jo die Achseln. »Tja – ich besuche die Leute und versuche, ihnen irgendwie zu helfen. Die meis ten brauchen Beistand, weil jemand gestorben ist, der ihnen nahe war.« Nach einer kurzen Pause fuhr sie mit leiser Stimme fort: »Die Menschen reagieren ganz unterschiedlich, und meine Aufgabe ist es, herauszufinden, wie ich sie darin unterstützen kann, das, was geschehen ist, zu akzeptieren – das Wort kann ich eigentlich nicht leiden, weil kein Mensch es wirklich akzeptieren will. Ich habe jedenfalls noch keinen getroffen. Aber man muss es lernen. So ungefähr könnte man mein Betätigungsfeld beschreiben. Denn letzten Endes lebt man besser weiter, wenn man den Verlust annimmt, auch wenn es einem noch so schwerfällt. Aber manchmal …«
Sie verstummte und kratzte gedankenverloren ein bisschen abblätternde Farbe von dem alten Schaukel stuhl. »Wenn ich mit den Leuten rede, kann es passieren, dass plötzlich noch ganz andere Themen zur Sprache kommen. In letzter Zeit habe ich das öfter erlebt. Weil die Menschen auch in anderer Hinsicht Unterstützung brauchen.«
»Das klingt nach einem sehr sinnvollen Job.«
»Stimmt. Aber oft ist es extrem anstrengend.« Jo musterte Katie mit interessiertem Blick. »Und was ist mit dir?«
»Du weißt doch, dass ich im Ivan’s arbeite.«
»Aber sonst hast du mir noch nicht viel von dir erzählt.«
»Weil es nicht viel zu erzählen gibt«, erwiderte Katie in der Hoffnung, dass es ihr gelang, mit dieser Antwort alle weiteren Fragen abzuschneiden.
»Ach, es gibt doch immer was. Jeder Mensch hat eine Geschichte. Zum Beispiel – wieso bist du ausgerechnet nach Southport gekommen?«
»Das
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