Wie ein Licht in der Nacht - Sparks, N: Wie ein Licht in der Nacht
hinauf ins Schlafzimmer und schaute in den Kleiderschrank. Ein Hauch von Erins Parfüm wehte ihm entgegen. Dieses Parfüm hatte er ihr zu Weihnachten geschenkt. Er hatte gesehen, wie sie aus einer ihrer Zeitschriften den Duftstreifen von einer Reklame abgezogen und mit einem verzückten Lächeln daran geschnuppert hatte. Als sie ins Bett ging, riss er die Seite heraus, faltete sie und steckte sie in seinen Geldbeutel, um nicht zu vergessen, welches Parfüm es war. Er sah sie vor sich, wie sie es sich behutsam hinter die Ohren und auf die Handgelenke getupft hatte, als er an Silvester mit ihr ausging. Und wie hübsch sie ausgesehen hatte in ihrem schwarzen Cocktailkleid! Im Restaurant hatte Kevin beobachtet, wie die anderen Männer sie anschauten, wenn sie am Tisch vorbeikamen. Zu Hause hatten sie dann miteinander geschlafen, gerade als das neue Jahr begann.
Das Kleid war noch da und hing am selben Platz. Dieser Anblick rief so viele Erinnerungen in ihm wach! Vor einer Woche hatte er es vom Bügel genommen und an sich gedrückt, während er auf der Bettkante saß und weinte.
Von draußen her drang das gleichmäßige Zirpen der Grillen zu ihm herein, aber das Geräusch beruhigte ihn nicht. Eigentlich war es ja ein entspannter Tag gewesen, aber er war todmüde. Er hatte keine Lust gehabt, zu dem Grillfest zu gehen und die ganzen Fragen über Erin beantworten zu müssen. Er wollte nicht lügen. Nicht, weil er moralische Bedenken hatte, sondern weil es nicht leicht war, die Illusion, dass Erin ihn nicht verlassen hatte, die ganze Zeit aufrechtzuerhalten. Er hatte eine Geschichte erfunden, und an die hielt er sich schon seit ein paar Monaten: dass Erin jeden Abend anrief, dass sie die letzten Tage zu Hause gewesen war, dann aber wieder nach New Hampshire aufbrechen musste, weil ihre Freundin eine Chemotherapie bekam und Hilfe brauchte. Er wusste, dass er nicht ewig so weitermachen konnte, weil die Ausrede mit der Freundin schon jetzt ziemlich hohl klang. Bestimmt fragten sich die Leute bald, warum Erin nie in der Kirche zu sehen war oder in den Geschäften, warum man ihr nie auf der Straße begegnete und wie lange die Freundin noch ihren Beistand brauchte. Die Leute tuschelten garantiert bald hinter seinem Rücken über ihn und sagten Sachen wie: Erin hat ihn verlassen und Ich glaube, ihre Ehe war doch nicht so perfekt, wie es aussah. Bei dem Gedanken verkrampfte sich sein Magen, und ihm fiel ein, dass er noch nichts Richtiges gegessen hatte.
Der Kühlschrank war so gut wie leer. Erin hatte immer dafür gesorgt, dass Truthahnscheiben und Schinken und Dijon-Senf und frisches Roggenbrot aus der Bäckerei da waren. Aber jetzt hatte er nur eine Wahl: Er konnte das Mongolische Rindfleisch aufwärmen, das er vor zwei Tagen beim Chinesen mitgenommen hatte. Ganz unten im Kühlschrank waren ein paar Flecken zu sehen, und am liebsten hätte er wieder losgeheult, weil er an Erins Schreie denken musste. Und an den dumpfen Knall, als sie mit dem Kopf gegen die Tischkante donnerte, weil er sie quer durch die Küche geschleudert hatte. Er hatte sie geschlagen und getreten, weil im Kühlschrank Flecken waren. Und jetzt fragte er sich, warum er wegen solch einer Kleinigkeit derart ausgerastet war.
Kevin ging ins Bett. Und als er die Augen wieder öffnete, war es Mitternacht, und draußen war alles still. Auf der anderen Straßenseite, bei den Feldmans, brannte noch Licht. Er konnte die Feldmans nicht leiden. Im Gegensatz zu den übrigen Nachbarn winkte Larry Feldman ihm nie zur Begrüßung zu, wenn sie zufällig beide im Garten waren, und wenn seine Frau Gladys ihn sah, wandte sie den Blick ab und verschwand im Haus. Die beiden waren schon über sechzig und gehörten zu den Leuten, die schimpften, wenn ein Kind aus der Nachbarschaft über ihren Rasen lief, um eine Frisbee-Scheibe oder einen Baseball zu holen, der aus Versehen dort gelandet war. Und obwohl sie Juden waren, dekorierten sie vor den Festtagen ihr Haus mit Weihnachtslichtern, stellten aber auch den siebenarmigen Leuchter ins Fenster. All das verwirrte Kevin, und er fand, dass sie keine guten Nachbarn waren.
Er legte sich wieder hin, konnte aber nicht mehr einschlafen. Als Stunden später die ersten Sonnenstrahlen durchs Fenster drangen, musste er daran denken, dass sich für alle anderen nichts verändert hatte. Nur sein Leben war aus dem Lot. Sein Bruder Michael und dessen Frau Nadine machten ihre Kinder für die Schule fertig und fuhren dann zur Arbeit – sie waren
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