Wie ein Licht in der Nacht - Sparks, N: Wie ein Licht in der Nacht
Richtung gegangen.
Er fuhr durch die Straßen von Chinatown, und wieder kam es ihm richtig vor. Er trank seinen Wodka und ging dann zu Fuß weiter. Es erschien ihm logisch, bei den Unterkünften anzufangen, die dem Busbahnhof am nächsten lagen. Überall zeigte er das Foto herum. Niemand konnte ihm eine Auskunft geben, aber er hatte das Gefühl, dass manche Leute logen. Er fand billige Zimmer, die er ihr nie zugemutet hätte – ungepflegt, mit dreckiger Bettwäsche, von Männern geführt, die kaum Englisch sprachen und nur Bargeld annahmen. Er deutete an, dass die gesuchte Frau in Gefahr sei, wenn er sie nicht fand. Das erste Hotel, in dem sie abgestiegen war, machte er schließlich ausfindig, aber der Besitzer schien nicht zu wissen, wohin sie gegangen war. Kevin drückte ihm die Pistole an die Schläfe, der Mann winselte, konnte ihm aber trotzdem nicht helfen.
Am Montag musste er wieder zur Arbeit. Es machte ihn maßlos wütend, dass Erin ihm entwischt war. Schon am nächsten Wochenende fuhr er erneut nach Philadel phia. Und am übernächsten auch. Er weitete seine Suche aus, aber es gab zu viele Hotels, und er war allein, und nicht alle Leute vertrauten einem Polizisten, der von außerhalb kam.
Aber Kevin war geduldig und sorgfältig. Er gab nicht auf und nahm wieder ein paar Tage frei. Abermals verging ein Wochenende ohne Ergebnis. Weil er wusste, dass sie Geld brauchte, erkundigte er sich in Bars und Restaurants. Wenn nötig, würde er die ganze Stadt durchkämmen. Endlich, eine Woche nach dem Valentinstag, traf er auf eine Kellnerin namens Tracy, die ihm sagte, dass Erin in einem Diner arbeite und sich Erica nenne. Am folgenden Tag sei sie für die Morgenschicht eingetragen. Die Kellnerin vertraute ihm, weil er Polizist war, sie flirtete sogar mit ihm und steckte ihm ihre Telefonnummer zu, als er sich verabschiedete.
Er mietete einen Wagen und wartete am nächsten Morgen etwa hundert Meter vor dem Diner. Dort saß er hinter dem Steuer, trank aus seinem Pappbecher und hielt nach Erin Ausschau. Eine Weile später sah er den Besitzer sowie Tracy und eine andere Frau die Straße entlangkommen. Aber Erin tauchte nicht auf, auch am nächsten Tag nicht, und niemand wusste, wo sie wohnte. Sie kam auch nicht, um ihren Scheck abzuholen.
Ein paar Stunden später fand er heraus, wo sie wohnte. Man konnte von dort zu Fuß zum Diner gehen, ein mieses Motel. Der Mann, der nur Bargeld annahm, wusste nichts, außer dass Erin am Tag zuvor das Haus verlassen habe – danach sei sie noch einmal kurz zurückgekommen, um in aller Eile wieder zu verschwinden. Kevin durchsuchte ihr Zimmer, aber es war nichts mehr da, und als er kurz darauf am Busbahnhof nachforschte, saßen an den Fahrkartenschaltern nur Frauen, und keine von ihnen konnte sich erinnern. Die Busse fuhren von hier in alle Richtungen, nach Norden, Süden, Osten und Westen.
Sie war abermals verschwunden, und im Auto schrie Kevin laut vor Wut und trommelte mit den Fäusten auf das Lenkrad, bis sie wund und geschwollen waren.
In den folgenden Monaten wurde der Schmerz in seinem Inneren immer giftiger und alles verzehrend. Wie ein Krebsgeschwür breitete er sich jeden Tag weiter aus. Kevin war wochenlang immer wieder nach Philadelphia gefahren und hatte die Busfahrer gefragt, aber es hatte lange Zeit nichts gebracht. Schließlich fand er heraus, dass sie nach New York gefahren war, aber dort verlor sich ihre Spur. Zu viele Busse, zu viele Fahrer, zu viele Passagiere. Und es war auch schon zu viel Zeit vergangen. Sie konnte überall sein, und der Gedanke, dass sie ihm entkommen war, quälte ihn fürchterlich. Manchmal hatte er das Gefühl, dass er kurz davor war, den Verstand zu verlieren.
Es war nicht fair. Er hatte sie geliebt, seit sie sich damals in Atlantic City begegnet waren. Und sie waren glücklich gewesen – oder etwa nicht? Am Anfang ihrer Ehe hatte sie immer leise vor sich hin gesungen, wenn sie ihr Make-up auftrug. Er hatte sie oft in die Bibliothek gebracht, wo sie sich acht oder zehn Bücher auslieh. Manchmal las sie ihm einen Abschnitt vor. Er hörte ihre Stimme, sah, wie sie am Küchentisch lehnte, und für ihn war sie die schönste Frau auf der ganzen Welt.
Er war ein guter Ehemann gewesen. Er hatte ihr das Haus gekauft, das sie wollte, die Vorhänge, die sie wollte, und die Möbel, die sie wollte, obwohl er sich alles nur mit Mühe leisten konnte. Nach der Hochzeit hatte er oft auf dem Heimweg bei einem Straßenstand Blumen für sie
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