Wie ein Licht in der Nacht - Sparks, N: Wie ein Licht in der Nacht
Seltsamerweise klingelte das Telefon nur einmal, und als er abnahm, hörte er einen Wählton. Er starrte auf den Hörer. Was war das? Verwirrt legte er auf.
Wie hatte sie es geschafft? Irgendetwas entging ihm. Selbst wenn jemand sie abgeholt hatte – wie war sie auf die Straße gelangt, ohne Fußspuren zu hinterlassen? Er starrte aus dem Fenster und versuchte die Abfolge der Ereignisse nachzuvollziehen. Irgendetwas stimmte nicht. Aber was? Er wandte sich vom Fenster ab, und sein Blick fiel auf das Telefon. Plötzlich begriff er. Mit dem Handy rief er die Festnetznummer an, der Apparat klingelte wieder nur einmal. Das Handy klingelte weiter. Als er den Hörer des Festnetzapparats abnahm, hörte er erneut den Wählton und verstand, dass sie die Anrufe auf ein Handy umgeleitet hatte. Das bedeutete, dass sie gar nicht hier gewesen war, als er sie am Abend zuvor angerufen hatte. Es erklärte auch, warum bei den Gesprächen, die er von unterwegs mit ihr führte, die Verbindung immer so schlecht gewesen war. Und natürlich auch, warum im Schnee keine Fußspuren waren. Sie war seit Dienstagmorgen fort. Das wusste er jetzt.
Am Busbahnhof hatte sie einen Fehler gemacht, auch wenn sie eigentlich nichts dafür konnte. Sie hätte ihre Fahrkarte bei einer Frau kaufen sollen. Erin war sehr hübsch, und Männer erinnerten sich immer an hübsche Frauen. Da spielte es keine Rolle, ob sie lange blonde Haare hatten oder kurze braune. Auch nicht, ob sie schwanger waren oder nicht.
Er fuhr zum Busbahnhof, zeigte seine Polizeimarke und ein größeres Foto seiner Frau. Anfangs konnte keiner der Fahrkartenverkäufer ihm weiterhelfen, aber dann zögerte einer von ihnen kurz und sagte, er habe die Frau vielleicht gesehen – nur hätte sie kurze braune Haare gehabt. Und sie sei schwanger gewesen. Er konnte sich allerdings nicht mehr erinnern, wohin sie wollte.
Zu Hause fand Kevin im Computer ein Foto von ihr, und mit Hilfe von Photoshop veränderte er ihre Haare von blond zu braun und machte sie kurz. Am Freitag meldete er sich weiterhin krank. Ja, das ist sie, bestätigte der Fahrkartenverkäufer. Kevin spürte neue Energie. Sie dachte, sie sei klüger als er, aber sie war dumm und unvorsichtig, und sie hatte einen Fehler gemacht. In der nächsten Woche nahm er ein paar Tage frei und ging erneut zum Busbahnhof. Dort zeigte er das bearbeitete Foto verschiedenen Busfahrern. Er blieb den ganzen Tag dort, weil ja ständig Busse abfuhren und ankamen. In seinem Auto hatte er zwei Flaschen verstaut, goss den Wodka in einen Plastikbecher und trank ihn mit einem Strohhalm.
Am Samstag, elf Tage, nachdem sie ihn verlassen hatte, fand er den Fahrer. Er hatte sie nach Philadelphia gebracht. Er erinnerte sich an sie, weil sie hübsch und schwanger war und keinerlei Gepäck dabeihatte.
Philadelphia. Vielleicht war sie schon wieder woanders, aber er hatte keine andere Spur. Außerdem wusste er, dass sie nicht viel Geld besitzen konnte.
Er packte eine Tasche, setzte sich ins Auto und fuhr nach Philadelphia. Dort parkte er am Busbahnhof und versuchte, wie sie zu denken. Er war ein guter Cop und wusste, wenn es ihm gelang, ihre Gedanken nachzuvollziehen, konnte er sie finden. Menschen, das hatte er bei seiner Arbeit gelernt, waren berechenbar.
Der Bus, den sie genommen hatte, kam ein paar Minuten vor vier Uhr an. Kevin blieb in der Halle stehen und schaute systematisch in alle Richtungen. Hier musste sie vor einigen Tagen gestanden haben. Was tat sie wohl – in einer Stadt, die sie nicht kannte, ohne Geld, ohne Freunde und ohne Unterkunft?
Es war kalt, und abends wurde es früh dunkel. Sie konnte nicht sehr weit gegangen sein, und auf jeden Fall brauchte sie ein Zimmer. In einem Hotel, das Bargeld annahm. Aber wo? Nicht hier, nicht in diesem Stadtteil. Zu teuer. Also, wohin? Wohin war sie gegangen? Sie durfte sich nicht verlaufen oder in die falsche Richtung gehen. Deshalb hatte sie vermutlich im Telefonbuch gesucht. Er begab sich in eine Telefonzelle und schaute unter Hotels nach. Endlos viele Seiten. Vielleicht hatte sie eins ausgewählt – aber dann? Sie musste irgendwie hinkommen. Das heißt, sie brauchte einen Stadtplan.
Er kaufte sich auf dem Busbahnhof einen Plan und zeigte dem Verkäufer das Foto, doch der schüttelte den Kopf. Er habe an dem Dienstag nicht gearbeitet. Kevin glaubte trotzdem, dass er mit seiner Vermutung richtig lag. Er suchte den Busbahnhof auf dem Plan. Ganz in der Nähe war Chinatown. Bestimmt war sie in diese
Weitere Kostenlose Bücher