Wie ein reißender Strom: Roman (German Edition)
das immer egal.« Ihre Tränen tropften salzig auf sein Gesicht. Sie weinte jetzt offen, aus Liebe. Ihr Herz und ihre Seele flossen über davon, und sie musste sie herausströmen lassen. »Ross, Ross«, rief sie mit bittender Stimme. Für einen Augenblick legte sie ihren Kopf auf seinen Bauch.
Banner richtete sanft den Kopf ihrer Mutter wieder auf. Sie glättete Lydias Haar, das abgesehen von der Farbe ihrem glich. »Schon gut, Mama. Es ist egal. Wirklich. Ich habe dich lieb. Ich war nur neugierig. Das ist alles.«
Lydia schüttelte den Kopf. »Nein, am besten erzähle ich dir jetzt alles.« Sie hielt inne, um tief Luft zu holen. »Ich bin von zu Hause weggelaufen, als ich im Wald zusammenbrach und das Baby zur Welt brachte. Ich dachte, ich hätte seinen Vater umgebracht. Er war mein Stiefbruder. Aber nicht mit mir blutsverwandt«, beeilte sie sich zu sagen, als sie das Entsetzen auf den Gesichtern bemerkte. »Meine Mutter heiratete einen Mann namens Otis Russell, als ich etwa zehn Jahre alt war. Er und Clancey machten unser Leben zur Hölle.«
Sie erzählte, dass Russell starb und Clancey sie missbrauchte. »Er … er … ich wurde schwanger von ihm. Als Mama starb, lief ich fort. Er kam hinter mir her. Als er mich fand, schlug ich ihn nieder, und er knallte mit dem Kopf auf einen Felsen. Ich dachte, er sei tot, also lief ich weiter, weil ich Angst hatte, man würde mir seinen Tod zur Last legen. Ich war froh, als das Baby tot zur Welt kam und wäre selbst auch am liebsten vor Schande gestorben. Aber als ich aufwachte, war Bubba da.«
Lydia schaute ihn an und lächelte. Schmerzhaft zerbrach in Banner etwas wie ein trockener Zweig.
»Die Langstons haben sich um mich gekümmert«, fuhr Lydia fort. »Als dann meine Milch einschoss, brachte man mich zu Ross. Victoria war gerade gestorben und hatte ihn mit einem hungrigen Neugeborenen zurückgelassen. Ich habe dich gestillt, Lee. Ich habe dich immer wie einen eigenen Sohn geliebt.«
»Das weiß ich.« Der junge Mann kämpfte einen aussichtlosen Kampf gegen seine unmännlichen Tränen.
»Aber Clancey war nicht tot. Er holte den Treck ein und stellte fest, dass ich mit Ross verheiratet war. Irgendwie hatte er auch Ross’ Identität entdeckt. Er wusste von den Juwelen, die Ross angeblich gestohlen hatte. Er bedrohte mich. Ich hatte panische Angst vor ihm. Ich fürchtete, er würde Ross oder Lee etwas antun.« Sie warf einen Blick hoch zu Lee. »Er hatte sogar eine Weile vermutet, du wärst sein Kind und ich hätte gelogen, als ich sagte, sein Baby sei gestorben. Er war zu jeder Brutalität fähig. Das wusste ich.«
Sie stand auf und ging zu Ma. Sie nahm die Hände der älteren Frau in ihre eigenen und blickte ihr in das faltige Gesicht, das sie schon so lange liebte. »Ma, es war mein Stiefbruder Clancey, der Luke umgebracht hat. Vergib mir, dass ich es dir bis jetzt nicht erzählt habe, aber ich konnte nicht. Ich habe mich so geschämt.«
Mas einzige Reaktion war ein kurzes Zucken der Lippen. Sie zog Lydia an sich und tätschelte ihr tröstend den Rücken. »War ja nicht deine Schuld. Ist doch ganz egal, wer ihn umgebracht hat. War es damals schon. Ist es auch heute noch.«
Lydia löste sich aus der Umarmung. »Clancey hat auch Winston Hill getötet. Er starb, weil er mich beschützen wollte. Das ist noch etwas, mit dem ich leben muss.«
»Was ist aus ihm geworden?«, fragte Banner und hasste den Mann, den sie Gott sei Dank nie kennengelernt hatte.
»Er ist tot.« Lydias Stimme hatte etwas Endgültiges, an das niemand zu rühren wagte. Außer einem.
»Ich habe ihn getötet.«
Die vier Worte hallten im Zimmer wider. Alle Blicke wandten sich Jake zu. Selbst Ross reagierte. Sein ganzer Körper zuckte, und er bemühte sich, Jake den Kopf zuzuwenden.
»Ich hörte mit, wie er Lydia an dem Abend, als wir in Jefferson ankamen, drohte, Ross dem Gesetz auszuliefern. Er prahlte damit, Luke getötet zu haben. Ich folgte ihm bis in die Stadt, wartete, bis ich ihn allein in einer dunklen Straße erwischte, und schlitzte ihm mit Lukes Messer den Bauch auf.«
Er wandte sich seiner Mutter zu. »Ma, falls es dir irgendein Trost ist, der Mord an Luke ist schon vor Jahren gerächt worden.«
Sie kam auf ihn zu und berührte die Wange ihres ältesten Sohnes. Dann verlor sie die Fassung und nahm ihn in ihre starken Arme. Das erklärte so vieles, seine Bitterkeit, sein Misstrauen Menschen gegenüber, seine selbst auferlegte Einsamkeit. Er hatte die Last einer ganzen Familie auf
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