Wie ein reißender Strom: Roman (German Edition)
bestimmten Licht zu sehen. Heute Abend betrachtete sie ihn auf völlig neue Weise. Er war nicht länger nur ihr Held, der Vertraute und Freund ihrer Eltern, Lees und Micahs Idol oder Mas Sohn. All diese Sichtweisen von Jake Langston verbannte sie aus ihrem Bewusstsein und betrachtete ihn nur noch als Mann, als sähe sie ihn mit den Augen einer Fremden.
Was sie sah, erfreute sie sehr. Als sie ihn jetzt anschaute, war sie der aufrichtigen Überzeugung, dass die Tatsache, ihn ihr ganzes Leben lang geliebt zu haben, ihre Meinung nicht beeinflusste.
Jede Strähne seines weißblonden Haares reflektierte den Schein der Laterne. Sein Haar war so voller Leben wie der Rest von ihm, widerspenstig, schwer zu beherrschen, ohne Disziplin. Wenn er seinen Kopf so gebeugt hielt, konnte sie erkennen, dass es oben auf dem Kopf in einem Wirbel wuchs und ihm in eigenwilligen Strähnen, die sich auf anziehende Weise nach ihrem eigenen Willen arrangierten, um den Kopf fiel. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er es je mit Pomade an den Kopf kleistern würde, wie Grady es manchmal mit seinen braunen Locken tat. Nein, Jake würde nie einen Teil von sich solchem Zwang unterwerfen.
Er trug es lang – ob aus Nachlässigkeit oder mit Absicht, wusste sie nicht. Es stieß gegen seinen Hemdenkragen, wenn er sich bewegte. Um seine wohlgeformten Ohren kräuselte es sich nur leicht. Koteletten in der Farbe reifen Weizens wuchsen bis zur Mitte seiner Ohren. Diese Haare wirkten drahtiger, lockiger. Sie wollte sie gerne berühren, den Gegensatz zwischen ihnen und der samtigen Weichheit seiner Ohrläppchen spüren. Auch seine Augenbrauen, die er jetzt voller Konzentration gesenkt hatte, waren von jenem unglaublichen hellen Blond.
Sie betrachtete das Gesicht, das sie seit ihrer Kindheit kannte, so weit sie es sehen konnte, da er sich über den verletzten Huf beugte. Seine Brauenknochen sprangen über den Augen leicht vor, auch seine Wangenknochen waren vorspringend, die Wangen leicht hohl. Nur seine offensichtliche drahtige Kraft bewahrte ihn davor, ausgemergelt zu wirken.
Sein Kiefer, nicht gemildert durch weiche Konturen, wirkte hart und entschieden. Sein Kinn schien bereit, jedermann, ganz gleich wie großartig er war, herauszufordern. Wenn Jake sich einen Bart hätte wachsen lassen, wäre der zweifelsohne auch blond, aber jetzt bildeten Bartstoppeln einen Schatten auf seiner unteren Gesichtshälfte.
Sie fragte sich, wie er wohl mit einem dicken Schnurrbart aussehen würde, wie Ross ihn hatte, verwarf den Gedanken aber sofort. Sein Mund war breit, die Unterlippe ein wenig breiter als die obere, allerdings war die Oberlippe wohlgeformt. Seinen Mund anzusehen verursachte ihr ein seltsames Gefühl im Magen. Sie entschied, dass es ein Verbrechen wäre, solch einen verlockenden Mund mit einem Schnurrbart zu bedecken.
Sie vermutete, dass er seine Hochzeitskleidung ausgezogen hatte, sobald sie nach Hause gekommen waren. Er hatte immer noch an, was er beim Abendessen getragen hatte, ein weiches Baumwollhemd in einem verwaschenen Blau. Jeans. Seine Stiefel waren alt und abgetragen. Um den Hals hatte er ein verblasstes rotes Tuch gebunden. Er hatte weder das Pistolenhalfter mit seinem Colt noch eine Weste noch den ledernen Beinschutz an, den sie bei ihm gesehen hatte.
Die Ärmel seines Hemdes hatte er bis zu den Ellenbogen aufgerollt. Banner bemerkte, wie geschmeidig die Muskeln seiner Arme waren, wenn er sie bewegte. Die Haut war tief gebräunt und mit Härchen übersät, die so hell waren, dass sie im Schein der Laterne weiß schimmerten.
Seine Hände bewegten sich geschickt und sanft, als er die Verletzung des Pferdes untersuchte. Seine Finger waren lang und schmal, aber es war sichtbar, wie kräftig sie waren, als er sie rund um den Huf abwechselnd zusammendrückte und locker ließ. Als Banner diese rhythmische Massage beobachtete, schlug ihr Magen wieder einen unvorhersehbaren Purzelbaum.
Solcher Männlichkeit war sie sich nie zuvor bewusst gewesen. Schierer Männlichkeit. Reifer Männlichkeit. Und ihr neugieriges Interesse daran schien ungerechtfertigt, weil sie ihr ganzes Leben lang mit Männern zusammen gewesen war. Ross, Lee und Micah, die Arbeiter auf der Ranch. Aber sie hatte sie nie so eingehend betrachtet, wie sie es jetzt bei Jake tat. Allerdings glaubte sie auch nicht, dass sie so beeindruckt gewesen wäre, wenn sie es getan hätte.
Er war in einer Weise männlich, die ihr den Atem raubte.
Angesichts solch unverhohlener
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