Wie ein reißender Strom: Roman (German Edition)
rankten sich an den sechs Säulen – drei an jeder Seite der Veranda – empor. Die ersten Triebe von Zinnien und Rittersporn sprossen in den Beeten. Rauch kräuselte sich aus dem Kamin der Küche. Der Schauplatz schien trügerisch idyllisch. Er wirkte nicht so, als hätte gerade eine Tragödie die Familie heimgesucht.
Als Ross und Lydia zuerst hierherkamen, wohnten sie in Moses’ Planwagen. So bald wie möglich hatte Ross ein Haus gebaut, mit einem überdachten Gang zwischen Küche und Wohnbereich auf der einen und den Schlafzimmern auf der anderen Seite. Es war klein und schlicht, aber Lydia hatte das nichts ausgemacht. Sie begriff, dass es in erster Linie darauf ankam, ihre Ranch aufzubauen.
Banner wurde in dem Haus mit dem überdachten Gang geboren und war zehn, als das neue Haus errichtet wurde. Selbst nach städtischen Maßstäben war es großzügig geplant. Oben gab es vier Schlafzimmer, obwohl Lee meistens in der Unterkunft schlief. Unten lagen der Salon, eine Wohnstube und das Esszimmer, das nur selten genutzt wurde. Meistens aß man in der riesigen Küche. Hinter dem Haus, angrenzend an die rückwärtige verglaste Veranda, befand sich Ross’ Büro.
Tränen verschleierten Banners Blick, als sie sich in den Anblick ihres ruhigen, friedlichen Zuhauses versenkte. Sie hatte keinerlei Skrupel gehabt, es zu verlassen, um zu heiraten, weil sie glaubte, dass sie in ein Heim ziehen würde, in dem noch mehr Liebe herrschte – ihre und Gradys. Ihr Herz schmerzte, wenn sie an das dachte, was nie geschehen würde.
Ross und Lydia saßen zusammen auf der Korbschaukel. Jake stand in der Ecke der Veranda, die Schulter gegen eine Säule gelehnt. Seine Zigarre war ein glühend roter Punkt. Banner konnte ihren würzigen Duft von ihrem Platz unter dem Baum riechen. Wie Jake so dastand, getrennt von dem Paar in der Schaukel, wirkte er allein.
Ross legte die Hand an Lydias Wange und bettete ihren Kopf an seine Schulter. Er beugte sich vor und hauchte einen sanften Kuss auf ihren Haaransatz. Sie ließ ihre Hand auf seinem Schenkel ruhen.
Tränen stahlen sich aus Banners Augen. Das hatte sie auch gewollt, diese Art von Liebe, danach hatte sie sich gesehnt. Sie war behaglich, friedlich. Die Berührungen. Die sprechenden Blicke, die den Rest der Welt ausschlossen. Sie wollte diese Art von Einssein mit einem Mann erfahren. Ihre Enttäuschung war so tief, dass es schmerzte.
Verzweiflung ergriff sie. Hoffnungslosigkeit hüllte sie ein wie ein Grabtuch. Hastig verließ sie die schützende Dunkelheit des Baumes, schritt die Stufen zur Veranda hinauf, sagte flüchtig Gute Nacht und lief die Treppe hinauf in ihr Zimmer.
Sie ging zu dem Koffer, in den sie ein Teil ihrer Aussteuer gepackt hatte, und nahm das Negligé heraus, das eigens für ihre Hochzeitsnacht angefertigt worden war. Sie bestrafte sich damit selbst, aber sie tat es wie unter Zwang. Das Gewand war aus hauchdünnem weißem Batist mit einem tiefen, runden Ausschnitt und langen Ärmeln, die an den Handgelenken mit einem Band zusammengebunden wurden. Den Halsausschnitt zierten gestickte gelbe Rosen und schmale Spitze. Schlicht, elegant und verführerisch. Als sie es über ihren nackten Körper gleiten ließ, zeichneten sich ihre Formen unter dem Stoff ab.
Sie ging allein zu Bett, voller Selbstmitleid darüber, was die heutige Nacht für sie eigentlich hätte bedeuten sollen. Sie lag in ihrem Bett und fühlte sich einsamer als je zuvor in ihrem Leben. Alle hatten jemanden heute Abend. Ma Langston hatte ihre Kinder und Enkelkinder, die unter ihrem Dach versammelt waren. Ross und Lydia hatten einander. Lee und Micah waren durch ihre Freundschaft miteinander verbunden. Selbst Marynell hatte ihre Bücher als Gesellschaft.
Nur die Braut war allein.
Sie hörte, wie ihre Eltern heraufkamen, in ihr Zimmer gingen und die Tür hinter sich schlossen. Banner tat das Herz weh. Das war nicht fair! Sie war betrogen worden. Warum konnte Grady nicht so lieben, wie ihre Eltern einander liebten? War er die Ausnahme von der Regel, oder waren sie es?
Ihr Körper sehnte sich danach, worauf sie sich geistig schon vorbereitet hatte. Sie sehnte sich nach der Wärme eines anderen Mannes, der sie zärtlich berührte. Eines Mannes, der sie liebte. Ihr Herz schrie nach der Gemeinschaft mit einem anderen Herzen.
Ruhelos warf sie ihre leichte Decke beiseite und ging zum Fenster. Der Luftzug kühlte ihre Wangen, besänftigte aber nicht den Aufruhr in ihr. Die Nacht war wunderbar. Alles lag gebadet
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