Wie ein reißender Strom: Roman (German Edition)
Mama. Natürlich, setz dich bitte. Jake …?« Sie wandte sich ihm zu und deutete auf einen anderen Stuhl.
»Ich muss den Wagen abladen«, meinte er verlegen und ging zum Ständer, an dem sein Hut und sein Pistolengurt hingen.
»Setz dich um Himmels willen hin, Jake«, sagte Lydia ein wenig aufgebracht. »Das ist doch kein offizieller Besuch. Was ist los mit euch beiden?«
»Nichts.« Das Wort rutschte Banner einfach heraus. Sie schaute Jake hilfesuchend an, aber der hatte sich auf einen Stuhl sinken lassen und starrte zu Boden. »Jake schmollt. Es hat ihm nicht gepasst, dass ich ihn gebeten habe, das Bild aufzuhängen.«
»Ach, Ross ist genauso. Er hasst es, ›läppische Dinge im Haus zu erledigen‹, wie er das nennt.«
Aus dem vertrauten Lächeln ihrer Mutter schöpfte Banner Mut. »Ich freue mich, dass du mich besuchst, Mama.«
»Ihr beide lasst euch auf River Bend ja gar nicht mehr blicken. Wir haben uns schon gefragt, ob wir euch irgendwie verletzt haben.« Sie lächelte noch immer, aber ihr Blick war ein wenig forschend.
»Nein«, meinte Banner mit einem falschen Lachen. »Wir waren einfach zu beschäftigt. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel wir hier gearbeitet haben.«
»Das haben wir von den Arbeitern gehört«, erwiderte Lydia. »Machen sie sich gut, Jake?«
Er blickte Lydia in die Augen und richtete sich in seinem Stuhl gerade auf. Er sah aus wie ein Junge, der in der Schule aufgerufen worden ist. »Ja, sie sind prima.«
»Offen gestanden war ich ein wenig besorgt wegen des jüngeren, wegen Randy«, sagte Lydia.
Jakes Blick huschte zu Banner hinüber, aber nur einen Herzschlag lang, bevor er antwortete: »Klar, er ist ein Rowdy, aber ich halte ihn schon im Zaum. Wie geht es Ma?«
»Gut. Ein bisschen verärgert über dich, weil du sie nicht besuchen kommst.«
»Das muss ich bald einmal tun.«
»Deshalb bin ich heute Abend hierhergekommen«, sagte Lydia. »Eigentlich wollte ich bis morgen warten, aber da Ross und Lee gerade mit einem ihrer endlosen Schachspiele zugange sind und es solch ein schöner Abend ist, entschloss ich mich, schon heute zur dir zu fahren.« Sie hielt inne und holte tief Luft. »Am Samstag geben wir eine Party.«
»Eine Party?«, fragte Banner überrascht. »Weshalb?«
»Um den Leuten zu zeigen, dass unser Leben und besonders deins wegen deiner geplatzten Hochzeit nicht vorüber ist.«
Banner wurde es ganz kalt. Lange verharrte sie regungslos. Dann stand sie auf und begann im Zimmer herumzuwandern, dies geradezurücken, jenes umzustellen, vermeintliche Staubkörner wegzuwischen.
»Denken das alle?«, fragte sie schließlich beißend. »Dass mein Leben vorüber ist, dass ich mich vor Kummer verzehre?«
»Bitte fass das nicht falsch auf, Banner. Deinem Vater und mir ist es schnurzegal, was die Leute denken oder sagen. Wir haben vor langer Zeit gelernt, dass man sie nicht davon abhalten kann zu denken oder zu sagen, was sie wollen. Aber wir wissen beide, wie es schmerzt, abgestempelt zu sein. Sobald das einmal geschehen ist, klebt es an dir, und du wirst es nicht wieder los.«
»Was meinst du damit?«
Lydia warf Jake einen Blick zu, aber sein Gesicht blieb versteinert und verriet nichts. »Wir wollen nicht, dass die Leute von dir einen falschen Eindruck gewinnen, weil er dauerhaft sein könnte. Vor ein paar Tagen ist Ross in der Stadt gewesen. Er sagte, die Leute erkundigen sich nach dir, als hättest du eine tödliche Krankheit, die dich jeden Moment hinwegraffen könnte. Lee und Micah erzählten, es hieße, dass du hier herausgezogen seist, um dich zu vergraben.«
»Das ist nicht wahr!«, rief Banner. Ihre Wangen hatten sich jetzt aus einem völlig anderen Grund gerötet. Sie war verärgert, und ihre ganze Haltung drückte das aus, als sie sich majestätisch aufrichtete. »Jetzt, wo ich auf meiner eigenen Ranch arbeite, fühle ich mich lebendiger und aktiver als je zuvor in meinem Leben.«
»Deshalb veranstalten wir ja auch die Party. Wir wollen, dass die Leute dich sehen und diesen Gerüchten einen Riegel vorschieben, bevor sie außer Kontrolle geraten.«
»Aber eine Party.« Entmutigt sank Banner, die plötzlich die Vorstellung quälte, jeder würde sie anglotzen, auf ihren Stuhl zurück. »Ist das denn nötig? Ich bin seit der Hochzeit nicht mehr in der Stadt gewesen. Könnte ich nicht damit anfangen … in die Stadt zu fahren, um dort von den Leuten gesehen zu werden?«
Lydia schüttelte den Kopf. »Du weißt doch, wie die Leute sind. Sie tratschen
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