Wie ein Ruf in der Stille: Roman (German Edition)
Lauri musste dafür herhalten.
Verspürte er das Bedürfnis nach Sex, war der Akt rein körperlich, ohne Zärtlichkeit und Zuneigung. Lauri tolerierte es. Genau wie die Tatsache, dass er sie als Ventil für seine Frustrationen benutzte.
Irgendwann konnte sie die dauernden Stimmungswechsel, das cholerische Temperament, sein Ego, das ständig Streicheleinheiten brauchte, und die Paranoia nicht mehr ertragen. Mental völlig aufgerieben, stand ihr seelisches Gleichgewicht auf der Kippe. Sollte sie etwa dermaßen abrutschen wie er? Nein, niemals.
Sie zog aus und nahm sich eine eigene Wohnung. Reichte allerdings nicht die Scheidung ein, weil sie im Stillen hoffte, dass Paul seine Depression doch noch überwinden würde und sie endlich zusammen glücklich werden könnten.
Drei Monate später war er tot. Seine damalige Freundin rief Lauri an, nachdem er am Klavier zusammengebrochen
war. Die Autopsie ergab eine tödliche Mischung von Alkohol und Schlaftabletten; man ging von einem Versehen aus. Lauri akzeptierte es so.
Jetzt schüttelte sie bekümmert den Kopf, während sie die Bürste durch ihr kastanienbraunes Haar zog. Auf der Beerdigung waren nur ein paar Leute gewesen. Ihre Eltern hatten Paul nicht persönlich gekannt. Sie waren nie in New York gewesen, und Paul hatte sich vehement geweigert, in »ein gottverlassenes beschissenes Land wie Nebraska« zu reisen. Lauri hatte seine Mutter angerufen, die in Wisconsin lebte. Die ihr unbekannte Frau hatte sich die Details angehört, wie ihr Sohn zu Tode gekommen war, und dann kommentarlos aufgelegt.
Anfangs hatte Lauri sich mit Selbstvorwürfen herumgequält. Sie fühlte sich verantwortlich für Pauls Tod. Wäre sie verständnisvoller gewesen, hätte sie ihn mehr unterstützt und ihn nicht verlassen, hätte er sich womöglich wieder aus dem Sumpf ziehen können.
Erst nach ausgedehnten Gesprächen mit ihrem Vater und mit einem therapeutischen zeitlichen Abstand hatte Lauri aufgehört, die Schuld bei sich zu suchen, und sich mit dem Tod ihres Mannes abgefunden.
Trotzdem hatte die Ehe sie geprägt. Sie war skeptischer geworden im Umgang mit Männern. Am liebsten ging sie mit jungen ehrgeizigen Typen aus, die mehr in ihre Karrieren investierten als in ihr Liebesleben. Ihre Beziehungen waren rein platonisch; wollte ein Mann mehr von ihr, machte sie schleunigst den Abflug.
Sie löschte das Licht im Bad, streifte ihre Unterwäsche ab und glitt nackt unter die Laken.
»Du hast echt Glück mit den Männern, Lauri Parrish«, frotzelte sie.
In den fünf Jahren seit Pauls Tod hatte sie sich verdammt zurückgehalten. Kühl-distanziert hatte sie die Männer eiskalt abblitzen lassen, sobald sie in ihr Leben hineinpfuschten. Bis jetzt. Das hier war kein kleiner Ausrutscher, sondern die absolute Bauchlandung.
Drake Rivington war nicht nur ihr Arbeitgeber und der Vater ihrer kleinen Schülerin, er war auch noch Schauspieler! Vom Regen direkt in die Traufe, konnte man da nur sagen. Nach ihrer Misere mit dem Komponisten ließ sie sich auf einen darstellenden Künstler ein! Hatte sie nicht schon eine Kostprobe von dem ähnlich gelagerten Charakter bekommen? Erst küsste dieser Drake sie mit einer glutvollen Leidenschaft, die ihr Blut zum Brodeln brachte, und dann war er von einer Sekunde auf die andere kalt wie ein Fisch, nur weil sie irgendetwas geäußert hatte, was ihn an seine verstorbene Frau erinnerte.
Bei dem Gedanken an sein überzogenes Ego kam ihr die Galle hoch. Er war es gewohnt, von Frauen umschwärmt zu werden, er suhlte sich in ihren Blicken, ihren Gesten, ihrer Bewunderung. Zum Kuckuck mit ihm, fauchte sie insgeheim und trommelte wütend mit der Faust auf ihr Kopfkissen ein.
Sie stand vor einer Herausforderung, die vermutlich Jahre in Anspruch nehmen würde, und das erforderte – und verdiente – ihre absolute Konzentration auf das Wesentliche. Sie wollte oder brauchte nichts anderes – erst recht keinen Mann, der sie von dieser pädagogischen Mission ablenkte. Ignorier seine ätzende Arroganz. Kümmere dich nicht um ihn. Vergiss ihn.
Vergiss, dass seine Haare im Rampenlicht silbrig schimmern. Vergiss die tiefgrünen, von dichten, dunklen Wimpern umrahmten Augen, die einen mit ihrer Intensität zu durchbohren scheinen. Seinen schlanken, sehnigen, sportlichen Körper, die energischen und dennoch eleganten Bewegungen.
Lauri wälzte sich unbehaglich unter den Laken, bemüht, ihr Herzflattern zu ignorieren, sobald ihr Drakes Kuss einfiel. Unwillkürlich legte sie
Weitere Kostenlose Bücher