Wie ein Ruf in der Stille: Roman (German Edition)
wissen.
»Sie begreift sicher nicht, dass sie sich für längere Zeit nicht wiedersehen werden. Und unter Liebe versteht sie dasselbe wie jedes andere Kind auch.«
Er schien sich mit der Antwort zufrieden zu geben, denn er nickte abwesend. Aufmerksam beobachtete er die Menschenmenge in der Schlange vor dem Schalter. Gleichwohl sah er die anderen Passagiere genauso wenig wie Lauri, die sich ebenfalls hektisch umschaute. Schließlich wanderten seine Augen zu ihr.
»Lauri«, meinte er gedehnt. Er fasste ihre Hand mit den Boardingkarten. Wieder betrachtete er forschend ihr Gesicht. Die rätselhaft grünen Augen verunsicherten sie. Sie beschworen sie zu … was? Sie fühlte sich magnetisch angezogen von diesen unergründlichen Tiefen. Drohte darin zu versinken.
Sehen Sie mich nicht so an, obwohl Sie Ihre Frau noch immer lieben, hätte sie ihn am liebsten angefaucht. Als er sie umarmen wollte, wich sie hastig zurück und fasste Jennifer an der Hand. »Ich glaube, wir müssen uns beeilen. Auf Wiedersehen, Drake.« Bevor er sie aufhalten konnte, war sie durch die Schranke geschlüpft und zeigte dem Angestellten ihre Pässe. Jennifer folgte Lauri nach einem letzten fröhlichen Winken in Drakes Richtung. Woher sollte die Kleine auch wissen, dass sie ihn monatelang nicht wiedersehen würde? Lauri sah sich nicht mehr um.
Sie stakste auf wackligen Beinen durch die hydraulische Schleuse zum Eingang des Flugzeugs und lokalisierte ihre Plätze in der ersten Klasse. Zeigte Jennifer, wie man den Sicherheitsgurt anlegte, damit die Kleine keine Angst davor hatte. Die Stewardessen waren spontan begeistert von dem kleinen Mädchen. Eine von ihnen beherrschte die Gebärdensprache und verständigte sich schon nach kurzer Zeit mit Jennifer in deren begrenztem Wortschatz.
Als die Maschine über dem Flughafen kreiste, schaute Lauri noch einmal zurück zum Terminal. In der verspiegelten Glasfront zeichnete sich die Silhouette eines Mannes ab. Bestimmt war das Drake.
Sie kämpfte die Tränen zurück, die Jennifer nur unnötig beunruhigt hätten. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Der stechende
Schmerz im Brustbereich, den sie krampfhaft auszublenden versuchte, war unerträglich.
Ich muss dagegen ankämpfen, redete sie sich ärgerlich zu. Ich darf ihn nicht lieben. Ich arbeite für ihn, das ist alles. Er liebt nur seine Frau. Er ist ein Schauspieler. Der Star in einer Daily Soap. Er hat selbst gesagt, dass sein Interesse am anderen Geschlecht nur körperlich ist und dass er keine emotionale Bindung eingeht. Ich will ihn nicht in meinem Leben!
Aber auch nachdem das Flugzeug gestartet war und sich durch die Wolkendecke nach Südwesten schob, war sie davon längst nicht überzeugt.
»Ich konnte es gar nicht fassen, dass wir endlich Nachbarn bekommen. Als Mrs. Truitt – das ist die Dame, die das Haus vor Ihrem Einzug geputzt hat – mir erzählte, dass Sie und das kleine Mädchen hier einziehen, war ich hellauf begeistert. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
Lauri lächelte die mollige Frau an, die sich behäbig auf einen Küchenhocker geschoben hatte. Betty Groves bewohnte das Haus neben Drakes Anwesen in Whispers, New Mexico.
»Danke, nein, aber trotzdem lieb von Ihnen. Wenn ich nicht selbst alles einräume, weiß ich nämlich hinterher nicht, wo die Sachen sind. Ich bin auch gleich fertig.«
Lauri packte Kochbücher aus, die sie von New York mit hergebracht hatte. Sie und Jennifer waren erst einen Tag in ihrem neuen Heim und waren logischerweise noch nicht orientiert, wo alles zu finden war.
Im Übrigen hatte Drake maßlos untertrieben, als er das
Haus mit »nichts Besonderes« umschrieben hatte. Seit sie mit Jennifer vor dem zweistöckigen Chalet vorgefahren war, stellte Lauri sich ernsthaft die Frage, wie jemand so ein fantastisches Haus besitzen, aber nicht dauerhaft darin wohnen konnte.
Im Parterre befand sich ein weitläufiger Wohnbereich im Studiostil. Mit Panoramafenstern, die eine herrliche Aussicht auf die Berge ermöglichten, und einem gemauerten Kamin. An den Salon schloss sich ein kleineres, holzgetäfeltes Zimmer an. Drake hatte vorgeschlagen, es in ein Unterrichtszimmer für Jennifer umzufunktionieren. Lauri, die es inzwischen inspiziert hatte, hielt diese Lösung für optimal. An einem Ende des riesigen Wohnraums war ein Essbereich abgeteilt, der mit einer freundlich hellen, ultramodernen Küche verbunden war, ausgestattet mit einer schicken Essbar.
Oben waren zwei Schlafräume, jeweils mit angeschlossenen
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