Wie ein Ruf in der Stille: Roman (German Edition)
Alles musste behutsam formuliert werden, schließlich durfte man ihn ja nicht brüskieren oder sein Selbstbewusstsein ankratzen.
Vielleicht war es überwiegend Mitleid, was Lauri für ihn empfand. Nachdem sie einige Monate mit Paul ausgegangen war, war sie allerdings davon überzeugt, ihn zu lieben. Er brauchte sie. Brauchte eine Vertraute. Jemanden, der seiner Musik lauschte und ihn bewunderte. Moralisch aufbaute. Tröstete. Verhätschelte.
»Was hältst du davon, bei mir einzuziehen, Lauri? Ich möchte dich immer um mich haben.« Sie waren nach einem Kinobesuch in sein Apartment zurückgekehrt. Und fläzten sich eng umschlungen auf der Couch.
»Hast du mich da eben gefragt, ob ich dich heiraten will, Paul?«, fragte Lauri strahlend. Sie war völlig aus dem Häuschen. Er liebte sie! Sie war seine Muse, sein Halt im Leben, auf sie könnte er sich jederzeit verlassen.
»Nein.« Er ließ sie los und stand auf, steuerte durch den Raum bis zu dem Tisch, wo seine alkoholischen Vorräte standen. »Ich hab dich lediglich gefragt, ob du nicht bei mir wohnen willst.« Er goss sich einen großzügig bemessenen Whisky ein.
Lauri setzte sich auf und strich ihre Sachen glatt. Er hatte sie schon häufiger aufgefordert, mit ihm zu schlafen. Sie lehnte jedes Mal ab, und dann kam es regelmäßig zum Streit. Hinterher entschuldigte er sich sarkastisch dafür, dass er so etwas überhaupt von ihr verlangt hatte.
»Paul, du weißt genau, dass ich das nicht kann. Ich hab dir erklärt, warum.«
»Nur weil dein Dad zufällig Pfarrer ist?« Er wurde zunehmend streitlustiger. Starrte sie mit glasigen Augen an.
»Nicht nur deswegen. Trotzdem wären meine Eltern maßlos enttäuscht …«
»Oh, bitte, verschon mich mit dieser Tour«, stöhnte er.
»Du weißt, dass ich mit dir schlafen möchte!«, erregte sie sich. »Wahnsinnig gern sogar. Aber ich möchte mit dir verheiratet sein, nicht nur in wilder Ehe leben.«
Leise fluchend kippte er den restlichen Whisky hinunter. Er stellte das Glas zurück auf den Tisch und starrte sie einen langen Augenblick an, ehe er den Raum durchquerte und vor ihr auf die Knie fiel.
»Du rothaarige Hexe«, flüsterte er und streichelte ihr Haar. »Du weißt, dass ich ohne dich nicht mehr leben
kann.« Er legte eine Hand auf ihren Bauch, massierte erregend ihren Schoß. Dann beugte er sich vor und küsste jede ihrer Brüste durch den Blusenstoff hindurch. »Schätze, dafür werd ich dich wohl heiraten müssen.«
»O Paul«, japste sie und umarmte ihn stürmisch.
Zur großen Enttäuschung ihrer Familie ließen sie sich wenige Tage später auf dem Standesamt trauen. Zwei Freunde von Paul waren Trauzeugen. Es gab keine Feier. Tags darauf zog sie bei ihm ein.
Die nächsten ein, zwei Monate ging alles glatt. Pauls cholerische Anwandlungen und seine depressiven Phasen hielten sich in Grenzen. Er arbeitete an mehreren Musikstücken, in die er große Hoffnungen setzte. Wenn Lauri abends von der Arbeit heimkam, saß er am Klavier. Was sie kochte, aß er abwesend, um sich dann wieder hinter seine Kompositionen zu verkriechen.
Wenn sie ins Bett ging, schlüpfte er rasch zu ihr, befriedigte seine körperlichen Bedürfnisse und arbeitete weiter, während sie allein in der Dunkelheit lag, bis sie frustriert einschlief. Morgens kroch sie leise aus den Federn, um ihn nicht aufzuwecken, und ging zur Arbeit.
Als seine Songs von einem Produzenten abgelehnt wurden, hatte Paul eine tiefe persönliche Krise. Er trank, fluchte auf Gott und die Welt und bekam Tobsuchtsanfälle.
Lauri, die ihn trösten und motivieren wollte, musste sich anhören: »Was zum Henker weißt du schon davon? Du bist den ganzen Tag mit einem Haufen Armleuchtern zusammen, die gute Musik nicht von schlechter unterscheiden können. Du redest wie ein Blinder von der Farbe. Halt um Gottes willen endlich die Klappe!«
Seiner Depression folgte eine Phase reumütiger Zerknirschtheit, die noch katastrophaler war. Er heulte sich in ihren Armen den Weltschmerz von der Seele, während sie ihn wie ein kleines Kind tröstete. Er bat sie um Verzeihung, versprach hoch und heilig, ihr gegenüber nie wieder einen solchen Ton anzuschlagen. Sie hätschelte und verwöhnte ihn, bis er wieder halbwegs normal schien.
Aber es hielt nicht lange an.
In den folgenden acht Monaten wechselten diese Stimmungen mit schöner Regelmäßigkeit. Er trank, weil er keine gute Musik schreiben konnte. Und er konnte keine gute Musik schreiben, weil er trank. Er hasste sich selbst, und
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