Wie ein Ruf in der Stille: Roman (German Edition)
Zeichensprache. »Jennifer isst Müsli zum Frühstück, ich nehme Toast und Kaffee. Was möchtest du ?« Grundgütiger, er sah einfach fantastisch aus, schoss es ihr spontan durch den Kopf. Das durch das Fenster einfallende Sonnenlicht zauberte irisierende Reflexe auf seine Haare. Das Sporthemd hing ihm lässig aus der Hose, die Ärmel hatte er bis zu den Ellbogen hoch gerollt. Die Drohung, die sich am Abend zuvor auf seinem Gesicht gemalt hatte, war wie weggewischt, sein gewinnendes Lächeln dafür umso entwaffnender.
»Guten Morgen«, antwortete sie. Sie neigte sich zu Jennifer und umarmte die Kleine, die sich eben einen Löffel Müsli in den Mund schob.
Aufgeregt wandte sie sich an Lauri und signalisierte ihr: »Daddy ist hier, Lauri.«
»Ich weiß«, bekräftigte Lauri. »Bist du traurig darüber?«
»Nöööö«, sagte Jennifer. Sie mochte das Wort, weil es ihr leicht über die Lippen ging.
»Bist du ärgerlich?«, fuhr Lauri fort. Vor ein paar Tagen hatten sie die grundlegenden Gefühlsregungen durchgenommen, und Lauri nutzte die Gelegenheit für einen Test mit ihrer Schülerin.
Jennifer giggelte. »Nöööö.«
»Wie fühlst du dich denn, jetzt, wo dein Daddy hier ist?«
Jennifer überlegte kurz, besann sich auf das korrekte Zeichen: Ich bin glücklich . Sie lachte, als Lauri anerkennend klatschte. Dann fragte sie ihre Lehrerin: Bist du glücklich, dass Daddy hier ist?
O Schreck. Lauri richtete sich hastig auf, in der Hoffnung, dass Drake nichts mitbekommen hatte. Dummerweise
doch, er beobachtete sie nämlich. Seine dichten, ausdrucksvollen Brauen hoben sich fragend.
»Und? Na los, gib Jennifer eine Antwort. Bist du glücklich, dass ich hier bin?«
Dieser arrogante Typ trieb es wahrhaftig auf die Spitze. Jennifer sah sie erwartungsvoll an. Zähneknirschend signalisierte und sagte sie: »Ja, ich bin glücklich, dass Drake hier ist.« Damit schien Jennifer zufrieden. Und löffelte weiter ihr Müsli.
»Schau doch mal kurz nach ihrer Hörhilfe. Ich bin mir nicht sicher, ob ich alles richtig gemacht habe«, erklärte er. Lauri hob Jennifers Locken an und kontrollierte den Sitz und die Lautstärke des Geräts, das in ihrem Ohr steckte. »Alles okay«, murmelte sie.
»Gut. Was möchtest du zum Frühstück?«, fragte er, während er seinen Toast dick mit Butter bestrich.
»Ich esse morgens nie was«, gab Lauri zurück. »Ich nehme nur eine Tasse Kaffee.«
Seine Augen wanderten freizügig über ihren Körper, dass ihr eine heiße Röte in die Wangen schoss. »Liegt es an der Enthaltsamkeit, dass du so schlank bist?«
Froh, seinem forschenden Blick zu entkommen, lief sie zum Küchentresen und goss Kaffee in einen Becher. Ihre Hand zitterte leicht. Als sie sich an seinem Stuhl vorbeischob, gab er ihr einen scherzhaften Klaps auf den knackigen Po, ließ die Hand bewusst einen Moment dort liegen. »Zu viel Abstinenz macht einen nur nervös, übellaunig und sorgt dafür, dass man früher altert. Man sollte das Leben genießen, wie es kommt.«
Eine saftige Retourkutsche lag ihr auf der Zunge, als Betty
plötzlich die Hintertür aufriss und mit ihrem unnachahmlichen Feingefühl in den Raum platzte. Pinkfarbene Lockenwickler standen in sämtlichen Himmelsrichtungen von ihrem Kopf ab. Sie trug ein Viermannzelt von einem Morgenmantel, dessen Band sie nachlässig um ihre füllige Taille geknotet hatte. Flauschige Plüschpantoffeln verliehen ihren Füßen Ausmaße, als wäre Yeti, der Schneemensch unterwegs.
Als sie Drake am Tisch entdeckte, erstarrte sie wie vom Blitz getroffen. Machte große Augen und staunte ihn mit offenem Mund an wie ein Fisch auf dem Trockenen. Das Ganze sah so komisch aus, dass Lauri zwischen Mitgefühl für ihre Freundin und einem Lachkrampf schwankte.
Folglich musste sie sich ein Grinsen verkneifen, als sie die beiden miteinander bekannt machte.
»Betty Groves, das ist Drake Rivington. Drake, das ist die Nachbarin, von der ich dir erzählt habe.«
»Guten Morgen, Mrs. Groves«, begrüßte er sie. Er stand auf und ging mit ausgestreckter Hand auf Betty zu. Sie hob mechanisch wie ein Roboter die Hand, und Drake schüttelte sie höflich. »Lauri hat mir erzählt, dass Sie ihr und Jennifer eine große Hilfe sind. Ich danke Ihnen, dass Sie sich während meiner Abwesenheit um meine Mädchen kümmern.«
Ob dieser Frechheit blieb Lauri die Luft weg. Bevor sie protestieren konnte, stöhnte Betty: »Oh, mein Gott! Ich seh ja fürchterlich aus! Ich bin nur auf einen Sprung hier vorbei, weil ich
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