Wie ein Ruf in der Stille: Roman (German Edition)
mir eine Tasse Zucker leihen wollte. Ich hatte ja keinen Schimmer, dass Sie hier sind, Doktor Ham… – ähm – Mr. Sloan – Mr. Rivington. Wieso haben Sie mir nicht erzählt, dass er kommt, Lauri?«, erkundigte sie sich mit einem leisen Vorwurf in der Stimme.
»Ich wu…«
»Sie sehen bezaubernd aus, Betty. Ich darf Sie doch Betty nennen, oder?«, fiel Drake Lauri ins Wort, bevor sie sich verteidigen konnte. »Wo steht denn unser Zucker, Lauri?«
Unser? Meine Mädchen? Er arbeitete mit allen Tricks, nur um den Anschein zu erwecken, dass sie einen gemeinsamen Haushalt führten. Über Bettys Schulter hinweg warf sie ihm einen mordlustigen Blick zu, den er belustigt und unbefangen erwiderte.
»Im Küchenschrank«, antwortete sie eisig. Was weder Betty noch Drake aufzufallen schien.
»Dann sei doch so lieb und hol ihn für Betty. Ich organisier ihr einstweilen eine Tasse Kaffee«, sagte er fürsorglich und führte die entgeisterte Betty an den Tisch. Lauri fand es ekelhaft, wie er die Rolle des charmanten Stars spielte.
»Sie sehen genauso aus wie im Film«, seufzte Betty verzückt. Drake rückte ihr einen Stuhl zurecht, und sie setzte sich schwerfällig. »Aber, ach Gottchen, ich stehle Ihnen bloß Zeit. Ich muss los. Meine Kinder warten …«
»Bitte, trinken Sie einen Kaffee mit, mir zuliebe.« Mit seinem hinreißenden Zahnpastalächeln hätte Drake einem Engel die Flügel abschwatzen können. »Lauri erzählte mir letzte Nacht, dass Sie zwei Kinder haben?«
Letzte Nacht! Lauri hätte platzen mögen. Während Betty über ihr Lieblingsthema plauderte, spähte Drake scheinheilig schmunzelnd zu seiner Angestellten. Er hatte ganz bewusst so getan, als hätten sie die Nacht zusammen verbracht, wenn auch in getrennten Schlafzimmern … Wütend knallte Lauri die Küchenschranktüren, als sie Betty eine Tasse Zucker holte.
Schließlich schlurfte Betty nach Hause. Vorher versicherte sie Drake noch, dass sie ganz bestimmt mit Sam und Sally am Nachmittag zur Unterrichtsstunde käme. Zum ersten Mal war Lauri erleichtert, als ihre Nachbarin den Abflug machte, zumal es sie maßlos ärgerte, dass Betty ihn anhimmelte. Zu allem Überfluss musste Drake mit seinen unterschwelligen Andeutungen auch noch so tun, als wären sie ein Paar. Darauf hatte Betty von Anfang an getippt, obwohl Lauri es nach wie vor vehement abstritt. Was ja auch der Wahrheit entsprach, oder?
»Wenn du gleich mit Jennifer im Unterrichtsraum verschwindest, packe ich meine Sachen aus.« Lauri hatte einen weiteren Wagen bemerkt, der neben dem Mercedes in der Auffahrt stand. Drake erklärte ihr, es sei ein Leihwagen, den er in Albuquerque abgeben müsse. Wenn sie und Jennifer demnächst mit ihm hinfahren würden, könnte er ihn zurückgeben.
Sie hatte eben mit dem Unterricht begonnen, als Drake in der Tür auftauchte. »Lauri, die Schränke in dem Zimmer hier wurden für Minigepäck konzipiert. Hast du noch Platz in deinen Schränken oben?«
Sie beäugte ihn argwöhnisch. »Ist das ein Trick, oder brauchst du wirklich mehr Platz?«
»Erraten, ich brauche mehr Platz«, erwiderte er, als könnte er kein Wässerchen trüben. Er schenkte ihr sein strahlendes Grübchenlächeln. Ein Schauspieler. Er konnte sich augenblicklich jeder Situation, jeder Stimmungslage anpassen. Widerwillig lächelte sie zurück.
»Einer der Schränke ist leer, bis auf ein paar Kartons in einer Ecke. »Wenn du willst, räum ich sie weg.«
»Rühr sie nicht an«, schnaubte er.
Sie sprang von dem niedrigen Stuhl auf, der eine Höhe mit Jennifers hatte. Warf die kupfern schimmernde Mähne zurück bei seinem harschen Ton und gewahrte, dass sich seine strahlende Miene verfinsterte. Hart und unnahbar wurde. Er bemerkte ihre plötzliche Verblüffung. »In den Kartons sind Sachen von Susan«, sagte er leise. »Lass sie, wo sie sind.«
Lauri fuhr unversehens ein eisiger Schauer über den Rücken. Für den Herzschlag des Augenblicks brach eine Welt für sie zusammen. Mühsam fasste sie sich wieder.
»Natürlich, Drake«, stammelte sie. »Ich wollte doch nur …«
Bestürzt hob sie den Kopf und spähte zur Tür. Sie konnte sich jede weitere Erklärung sparen: Er war fort.
Für gewöhnlich verbrachten Lauri und Jennifer den gesamten Morgen im Unterrichtsraum, mit Ausnahme einer kurzen Pause, in der das Kind eine Kleinigkeit aß. Lauri nutzte diese Zeit, um ihr die Bezeichnungen und den Geschmack unterschiedlicher Lebensmittel zu vermitteln.
In jener Woche beschäftigten sie
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