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Wie ein Stein im Geroell

Wie ein Stein im Geroell

Titel: Wie ein Stein im Geroell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Barbal
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vergießen, die ich mir nicht erklären wollte. Meine Flickarbeit konnte ich nicht mehr erkennen. Es war dunkel geworden. Jetzt mußte ich die Kühe melken, aber sonst gab es nicht mehr viel zu tun. Keinen Tisch decken und auch nicht das Frühstück für den nächsten Morgen vorbereiten.
    Wenn ich heute daran zurückdenke, glaube ich, in jener Nacht schon geahnt zu haben, daß nun ein neuer Lebensabschnitt für mich begann.
    Am Tag der Hochzeit litt ich sehr. Die Feier fand in Torrent statt. Die Mädchen waren dabei, die beiden Schwiegersöhne und die Enkelkinder, insgesamt schon drei, Ramon und Rita, die beiden Kinder von Elvira, und Agustí, Angeletas Sohn. Ich war wirklich nicht allein, aber ich konnte einfach nicht verhindern, daß meine Gedanken geradewegs nach Pallarès eilten, hin zu dem Tag, an dem Jaume und ich geheiratet hatten. Ich wollte diese Erinnerung nicht aufkommen lassen, doch ich erreichte damit nur, daß sich meine Augen mit Tränen füllten, so als ob ich auf einer Beerdigung wäre. Vielleicht war die Braut ja deshalb mir gegenüber etwas zurückhaltend, sehr schüchtern, so als ob sie Angst hätte, mit mir zu sprechen.
    Alles ging gut. Es gab ein feines Essen, es wurde gescherzt und gelacht, und ich versuchte, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Ich konnte nicht glauben, daß diese beiden Frauen mit ihren kleinen Kindern und dieser Mann, der gerade geheiratet hatte, meine Kinder waren. Wie die Zeit verging! Jung war ich jetzt wohl nicht mehr, ja vielleicht war ich sogar schon alt. Erst in diesem Augenblick kammir das in den Sinn. Die Jahre nach dem Krieg, das war alles eins, nichts hatte sich bewegt, nichts verändert. Ich war einfach an jenem Morgen stehengeblieben, an dem die Soldaten an die Tür gepocht hatten, oder vielleicht hatte ich mich in diesem Lager in Aragonien verloren. Deshalb kam es mir jetzt so seltsam vor, daß meine Kinder keine Kinder mehr waren und ich eine alte Frau. Eine langsame alte Frau, eine, die keinen Ärger machte, ihrer Arbeit nachging, die sich aber selbst für ziemlich töricht hielt. Und der ganz plötzlich klar wurde, daß nun endlich auch ihr eigener Tod nicht mehr gar so weit entfernt war, denn sie zählte schon mehr als fünfzig Jahre, und sie erwartete nichts mehr vom Leben, weder für jetzt noch für später.
    Aber darüber haben nicht wir zu entscheiden. Jetzt habe ich lange genug gelebt, jetzt gehe ich. Jetzt bin ich glücklich, und darum möchte ich länger leben. Das alles wußte ich zur Genüge, aber was es eigentlich bedeutete, das verstand ich damals noch nicht.
    Heute muß ich lachen, wenn ich daran denke. Mein Los war es, dreißig weitere Jahre zu leben, und ich atme immer noch, obwohl ich zu rein gar nichts mehr nutze bin.
    Die Musik hatte einfach weitergespielt, ja, ein paar Takte standen noch aus. Auch mancherlei Schönes: Zu wissen, daß die Enkelkinder heranwachsen, sie einmal im Jahr zu sehen, zu erleben, daß weitere geboren werden, sich sagen zu können, daß es uns an nichts fehlen wird, wenn wir nur genug arbeiten, zuzulassen, daß die schlimmen Erinnerungen mit der Zeit verblassen … Doch daneben: abgrundtiefes Schweigen. Zu begreifen, daß es eine Art von Menschen gibt, die mit großer Strenge erzogen wurden und die deshalb nur vor demjenigen Achtung haben, der sie herumkommandiert. Ich mußte mit ansehen, wie sich Mateu nach und nach veränderte. Er war nicht mehr ausgeglichen und fröhlich wie früher, sondern nur noch mürrisch und voller Unruhe. Vielleicht muß man bei einer Vernunftehe damit rechnen, denn alles läßt sich im voraus bedenken, nur eben nicht der Charaktereines Menschen. Wie geht denn so eine Brautwerbung vonstatten? Eine Weile sitzt man in der guten Stube und spricht über die Mitgift, dann wird eine von den besten Würsten aufgeschnitten und ein Krug Wein auf den Tisch gestellt. Und wenn das Paar schließlich allein ist, wechseln sie ein paar schüchterne und unbeholfene Worte miteinander.
    Das ist ein Geschäft wie jedes andere auch, nur daß hier Waren auf die Waagschale gelegt werden, die kein Gewicht haben. Ein Mensch ist zu viel wert, um gekauft zu werden, und zu unbedeutend, um so zu leben, wie es ihm gefällt …
    Wie niemand sonst habe ich meinen Teil dazu beigetragen, daß der Junge heiratet. Und es heißt ja, jeder Sünde folge die Strafe auf dem Fuß, und wahrlich, genauso ist es mir ergangen.

E s stimmt schon, sie hatten es nicht gerade leicht. Seit der Geburt des ersten Kindes in der

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