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Wie ein Stein im Geroell

Wie ein Stein im Geroell

Titel: Wie ein Stein im Geroell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Barbal
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zusammenzählen wolltest, dann war schon wieder jede Menge Zeit vergangen.

D ie Tage flossen dahin. Elvira gefielen die jungen Burschen nicht, die ihr den Hof machten. Es war nicht leicht gewesen, das Eis im Dorf zu brechen, aber nach und nach, wenn auch manchmal recht verstohlen, hatte sie doch die ersten Heiratsanträge bekommen. Das war, weil man sie bei der Arbeit gesehen hatte. Ob beim Mähen oder Heumachen, sie packte zu wie ein Mann, und wenn es notwendig war, dann nahm sie es mit allem und jedem auf.
    Eines Abends nach dem Essen verkündete sie, daß sie sich nach auswärts verheiraten werde und auf ihr Erbe verzichte. Die Tante prophezeite ihr alles nur denkbare Unglück. Daß sie Hunger leiden werde, daß ein Mann, der nur seinen Lohn nach Hause bringt, seine Familie nicht ernähren kann, daß sie schon bald wieder angelaufen käme, um uns um Essen anzubetteln … Elvira blieb ganz ruhig und ließ sie reden. Ich brachte es nicht übers Herz, mich ihren Heiratsplänen in den Weg zu stellen, aber der Tante zu widersprechen, dazu war ich auch nicht in der Lage. Also schwieg ich und machte mir innerlich Vorwürfe, denn ich glaube, Elvira hatte gehofft, ich würde sie in Schutz nehmen. Als Angeleta aber anfing, sie mit der Hochzeit aufzuziehen, da sprang sie wie von einer Tarantel gestochen auf. Mateu war bereits neun Jahre alt. Hier und da ging er uns schon zur Hand, doch jetzt traute er sich nicht, den Mund aufzumachen, denn er wußte genau, was ihm sonst blühen würde. Schließlich war es seine große Schwester, die dafür sorgte, daß er immer sauber angezogen war, die ihm einen Scheitel zog und ihn ausschimpfte, wenn er sich schmutzig machte. Wie hätte er sich da einmischen können!
    Beim Viehhüten dachte ich über all diese Dinge nach. Das war die Arbeit, die mir am besten gefiel. Viele Stunden verbrachte ich allein mit den Tieren, und da hatte ich Zeit, mich in meinen Erinnerungen zu verlieren. Die raschelnden Blätter einer Pappel ließen mich an die Jahre denken, die ich in Ermita verbracht hatte, oder an die erste Zeit bei Onkel und Tante. Ganz versunken in das Gezwitscher der Vögel ließ ich mich einfach treiben, und als ich nach Fosca oder nach Clapada rufen mußte, nach der Braunen oder der Gefleckten, die sich verstiegen hatten, merkte ich mit einem Mal, daß ich an gar nichts mehr dachte. Das waren jetzt die guten Momente in meinem Leben. Als ich dann die Tiere, die mit ihrem Schwanz die Fliegen verscheuchten, in den Stall zurückbrachte, fühlte ich mich irgendwie getröstet.
    Am Tag, nach dem Elvira uns hatte wissen lassen, daß sie einen Burschen heiraten wollte, der in einer Sägemühle arbeitete, und sie mit ihm in Noguera leben würde, da dachte ich auf dem Nachhauseweg, daß sie mich jetzt nicht mehr brauchten. Völlig unerwartet kam dieser Gedanke, so als würde mich ein Sonnenstrahl blenden, der ganz plötzlich durch die Zweige bricht.
    Noch war sie nicht verheiratet, aber bald würde es so weit sein. Und sie tat gut daran. Auch Angeleta würde sich verheiraten. Sie war ruhig, arbeitsam und freundlich, und alles in allem blieb das natürlich nicht unbemerkt. Außerdem war sie hübsch. Und Mateu hatte die Tante, die ihm alles beibringen konnte. Wie eine Mutter würde sie für ihn sein. Und mit fünfzehn Jahren wäre er dann der junge Erbe. Im selben Augenblick, als ich das dachte, durchfuhr mich eine scharfe Klinge. Das tat so weh, doch ich sagte es mir noch einmal: Sie brauchen mich nicht mehr.
    Bis zum Patronatsfest dachte ich nicht mehr daran. Doch dann, in der ersten Nacht, hörte ich von meinem Bett aus die Tanzmusik, wenn auch nur ganz leise. Wie ein Vogel, der einem Lockruf folgt, stand ich auf, zog mir mein schwarzes Kleid an, und stieg langsam, doch ohne zu zögern, auf denSpeicher hinauf. Dort unter dem Dach stand in einer Ecke die Wiege aus Holz, in der meine drei Kinder geschlafen hatten, als sie klein waren. Ihr Vater hatte sie mit eigenen Händen gebaut. Ganz schlicht war sie. Bloß eine Zickzackborte an beiden Seiten, sonst nichts. Auch den geöffneten Schrank sah ich, mit all seinen Werkzeugen darin. Doch damit hielt ich mich nicht auf. Ich öffnete das Fenster und lehnte mich hinaus. Das Rauschen des Flusses überflutete mich mit einem Duft nach zarten, grünen Zweigen. Ganz weit da unten lag er, aber er war so deutlich zu hören und schien mir so viel einladender zu sein als die Hölle meines Bettes. Ich zog die Wiege ein wenig heran und stellte sie umgekehrt unter

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