Wie ein Stein im Geroell
Klinik von Noguera war Lluïsa etwas kränklich und klagte in einem fort. Mateu, der in dreißig Jahren kaum aus dem Dorf herausgekommen war, mußte jetzt dauernd umherreisen. Zuerst ein ums andere Mal nach Noguera, um den Rat der Ärzte einzuholen. Dann schickte man sie nach Lleida und später sogar nach Barcelona.
Die Untersuchungen, die Reisen und Medikamente, das alles kostete viel Geld. Tagelang blieb die Arbeit auf den Feldern liegen, obwohl sie doch eigentlich keinen Aufschub duldete. Eile, Verdruß … Ich tat, was ich konnte. Kümmerte mich um den Kleinen, die Tiere, den Garten, das Federvieh, aber für die Arbeit draußen, da taugte ich nicht mehr.
Ich erinnere mich an diese Zeit als eine Zeit des Wartens. Ich wußte, daß Veränderungen auf uns zukamen, denn mein Traum hatte sich nicht erfüllt. Im Haus lebten jetzt wieder mehr Menschen, aber fröhlicher ging es deshalb nicht zu. Es hatte sich eine Freudlosigkeit ausgebreitet, die wir zuvor nicht gekannt hatten. Die Freudlosigkeit von Menschen, die sich nicht wohl fühlen. Einmal abgesehen von den Krankheiten der Kinder, einer Erkältung oder etwas Rückenschmerzen, waren wir eigentlich immer gesund gewesen. Der Onkel, ja, der hatte wirklich unter einer schweren Krankheit gelitten, aber er hatte sie mit Geduld ertragen, und wie so viele alte Menschen war er davon überzeugt gewesen, daß seine Uhr abgelaufen sei, und so richtig wollte er darum auch gar nicht mehr gesund werden.
Der kleine Jaume hätte meine Stunden ausgefüllt, wenn ich mich nur geschickter angestellt hätte. Seine Mutter aber hieltihn von mir fern, weil es ihr, wie allen Müttern bei ihrem ersten Kind, ein Bedürfnis war, sich selbst um ihn zu kümmern. Lluïsa und ich, wir waren uns nicht nähergekommen, und so sehr ich mich auch bemühte, ihr alles recht zu machen, es gelang mir nie. Ich glaube, sie litt jedes Mal Höllenqualen, wenn ein Arztbesuch anstand und sie den Kleinen bei mir zurücklassen mußte. Ich verstand sie gut, aber ich traute mich nicht, ihr etwas zu sagen, denn sie schien immer nervös und übellaunig zu sein. So als ob wir anderen schuld daran wären, daß es ihr nicht gut ging.
Wir schauten durch das Fenster, wie der Regen fiel, der kleine Jaume und ich, und als ich anfing, ihm eine Geschichte zu erzählen, da blickte er mich mit seinen großen schwarzen Augen an. Draußen auf der Fensterscheibe schienen die Regentropfen miteinander Fangen zu spielen, und Jaume, so geduldig, wurde nicht müde, mir zuzuhören. Zur Essenszeit war es dann wie immer. Zu mehr als ein paar Bissen ließ er sich einfach nicht bewegen. Ich dachte, daß er wegen der unguten Stimmung, die bei uns herrschte, keinen Appetit hatte, aber ich hätte mir eher die Zunge abgebissen, als das laut zu sagen.
So nah wie an jenem Regennachmittag waren mein Enkel und ich uns nie wieder. Mit den Jahren sollte Jaume, und später dann auch sein Bruder Lluís, weit entfernt von seiner Großmutter leben, auch wenn wir alle am selben Tisch aßen.
Ich nahm das hin. Vielleicht weil ich zu einem lebendigen Gestein geworden war oder vielleicht, weil ich es ganz einfach nie verstanden hatte aufzubegehren. Und zu sagen: Ich bin noch nicht tot, hier wird das Geld nur für dieses oder jenes ausgegeben, oder so ähnliche Sachen … Ich ahnte, daß ich noch sehr stark sein müßte, aber weshalb, das kam mir nicht in den Sinn.
Eines Abends, draußen lag alles voller Schnee, und es war bitterkalt, kam Mateu zu mir, liebevoll wie früher, so kannte ich ihn gar nicht mehr. Mutter, wir haben uns um eine Pförtnerloge in Barcelona bemüht. Sie stellen uns eine kleine Wohnung zur Verfügung, im Hochparterre, und außerdem zahlen sie uns ein Gehalt. Dort haben wir es nicht weit zu den Ärzten und müssen uns keine Sorgen mehr um das Land machen …
W enn ich den Mut gehabt hätte zu sagen: Laßt mich hier bleiben, ich will auf diesem Stückchen Erde sterben, so wäre das sinnlos gewesen. Ich hätte mir nur anhören müssen, daß ich zu träge geworden sei und was ich denn alleine in so einem großen Haus anfangen wolle. Und es wäre ebenso sinnlos gewesen, ihnen dann zu sagen, daß dies doch schließlich mein Zuhause ist und ich hier mein ganzes Leben verbracht habe … Ich sagte also nichts, so als ob ich mit allem einverstanden sei, so als ob mich diese Nachricht nicht wirklich überrascht hätte.
Ich begriff, daß ich mich gar nicht mit allem abgefunden hatte, und es stimmte auch nicht, daß ich nicht mehr weiterleben
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