Wie ein Stein im Geroell
das Fenster. Als ich gerade den rechten Fuß hob, um darauf zu steigen, hörte ich neben mir ein leises Geräusch. Die Tante schaute mich mit weit aufgerissenen Augen an. Kannst du nicht schlafen, Kind? sagte sie und legte mir ihren Arm um die Schulter. Und so ging ich, ganz eng an ihren kleinen, noch festen Körper geschmiegt, wieder hinunter in mein Schlafzimmer, und ich sagte kein Wort.
D ie Große hatte es gut getroffen. Sie hatte bereits einen kleinen Jungen, einen richtigen Sonnenschein, und es konnte keine Rede davon sein, daß wir sie mit durchfütterten. Wir waren es, die ihre Hilfe brauchten, und mußten sie darum bitten, im Sommer zu uns hochzukommen, um uns zur Hand zu gehen. Angeleta war das nicht möglich, denn sie hatte einen Bauern geheiratet und zu Hause auf dem Hof selbst genug zu tun. Jetzt ging es nur noch darum, den Erben zu verheiraten, doch der machte bislang keine Anstalten, so daß die Tante und ich, auch wenn er noch recht jung war, langsam etwas unruhig wurden. Er war arbeitsam und geschickt wie sein Vater und hatte einen sanftmütigen Charakter. Das Herumschreien lag ihm nicht und das Herumkommandieren schon gar nicht. Gütig und freundlich war er und nicht gerade schlecht anzuschauen. Hochgewachsen, vielleicht ein wenig zu mager, das ja, mit gelocktem, kastanienfarbenem Haar, großen, friedfertigen Augen, einer langen Nase und einem feingeschnittenen Mund.
Aber es waren Zeiten angebrochen, in denen es sich eine junge Frau zweimal überlegte, ob sie auf einen Hof einheiraten wollte. Also sagte ich den Mädchen, sie sollten sich in Noguera oder Torrent umschauen, ob sie nicht dort irgendeine junge Frau für Mateu finden würden. Ich dachte: Du wirst ihn verlieren. Aber er brauchte Frau und Kinder, um den Hof erhalten zu können. Was sollte er denn mit zwei alten Frauen anfangen?
Über all dem starb uns die Tante. Eines Morgens, ganz erstaunt darüber, daß sie noch nicht aufgestanden war, fandenwir sie in ihrem Bett, zusammengerollt wie einen Spatz. Sie war von uns gegangen, ohne uns auch nur die geringste Arbeit gemacht zu haben, noch nicht einmal einen Kräutertee hatten wir ihr aufgebrüht. Ihr Tod hätte mich völlig verzweifeln lassen, wenn da nicht Mateu gewesen wäre. Ihr kleines, runzeliges Gesicht, schon ganz zahnlos in den letzten Jahren, vor allem aber ihre Stimme sollten mir in vielen Nächten meines Lebens ein Trost sein. Wenn ich mich an sie erinnern wollte, so als wäre sie nur ein paar Schritte von mir entfernt, nahm ich die Fotografie zur Hand, die mein Schwiegersohn aus Noguera von ihr gemacht hatte, heimlich, weil sie sich nicht aufnehmen lassen wollte. Sie sitzt auf der Wiese, hinter ihr der bis obenhin mit Heu beladene Karren, und neben ihr der kleine Ramon, dem sie gerade etwas zu sagen scheint. Das schwarze Kopftuch trägt sie weit in die Stirn gezogen, so daß man ihr Gesicht nur undeutlich erkennt.
Jetzt, so ganz allein, trieb mich die Vorstellung um, Mateu zu verheiraten. Wenn mir etwas passieren würde, müßte mein Sohn alles stehen und liegen lassen, um für mich da zu sein. Und wer würde sich dann um ihn kümmern?
Bis zu dem Tag, an dem er sich auf den Weg nach Torrent machte, um seine Schwester zu besuchen und auf Brautschau zu gehen, fand ich keine Ruhe. Man hatte uns ein Mädchen von dort empfohlen. Sie war die jüngste von vier Geschwistern, Jungen und Mädchen. Außer ihr und dem Zweitältesten waren alle verheiratet. Die Familie war weder arm noch reich. Sie lebten von Viehzucht, dem Verkauf von Milch und von der Jagd. Gemsen jagte der Vater. Man sagte, sie verstehe viel vom Haushalt und von der Feldarbeit, außerdem könne sie nähen und gut rechnen.
So allein im Haus, dachte ich viel nach an diesem Tag. Bald wäre es an der Zeit, die Kühe zu melken. Ich saß am Fenster und hörte Clapada, die im Stall schon ganz unruhig wurde. Aber es war noch hell, und ich hatte mich daran gemacht, ein Bettuch auszubessern, und diese Flickarbeit wollte ich noch zu Ende bringen. Nicht mehr lange und dann kämeeine junge Frau in dieses Haus. Kein einziges Zimmer kannte sie, und doch sollte sie fortan die Hausherrin sein. Ich würde ihr die Schlüssel für alle Türen übergeben, damit die Wände, die schon die Stimmen so vieler Menschen gehört hatten, wieder vor Freude bebten. Lieder, Kinderweinen, Tellerklappern: Das Leben in seiner ganzen Fülle, damit aus dem Schatten wieder Farbe wird.
Dieser frohe Gedanke ließ mich innerlich bittersüße Tränen
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