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Wie ein Stein im Geroell

Wie ein Stein im Geroell

Titel: Wie ein Stein im Geroell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Barbal
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wollte. Als wir damals fortgingen, bedeutete Leben für mich, in Jaumes Nähe zu bleiben, dort, wo man mir gesagt hatte, daß er begraben lag. Nichts überstürzen. Ich wollte einfach weitermachen wie bisher, die anderen ruhig reden lassen, das bewahren, was uns allen gemeinsam so viel abverlangt hatte. Soviel Mühe, soviele Entbehrungen, so viele Schicksalsschläge. Jetzt sperrten wir die Tür zu, und es ging die Straße hinunter, viel weiter hinunter noch als bis Noguera, mehr als zweimal den ganzen Weg, immer hinunter.
    Ein Haus mit sieben Stockwerken hatte er gesagt, und ich stellte mir vor, daß es bis in den Himmel ragte.
    Um nichts in der Welt wollte ich mich von meinem Sohn trennen, aber den Versprechungen, wir würden zurück gehen, wenn erst einmal wieder bessere Zeiten kämen, konnte ich einfach nicht glauben. Ich mußte daran denken, was mir die Tante schon lange vor ihrem Tod gesagt hatte, zehnJahre vorher vielleicht. Die Mädchen waren noch zu Hause. Ich weiß nicht mehr, wie wir darauf kamen, aber die Tante hatte gemeint, wir würden nicht mehr hier in diesem Haus sterben, viel zu hart sei das Leben in den Dörfern und die Jugend heutzutage nicht mehr bereit, all die Mühen auf sich zu nehmen. Ich weiß noch, daß ich ihr nicht widersprochen habe, eben ganz so, wie ich es gewohnt war, aber was sie sagte, fand ich schon sehr übertrieben. Bei mir dachte ich, es müsse wohl mit ihrem Alter zu tun haben, daß sie die Dinge nun mit anderen Augen sah. Doch als kurze Zeit darauf Elvira auf ihr Erbe verzichtete, zeigte sich, daß die Tante recht gehabt hatte. Das begriff ich damals aber noch nicht, denn da waren ja noch die anderen, und unbedarft wie ich war, dachte ich, das sei genug.
    Eine Wolke aus Erinnerungen füllte jedes Zimmer, jeden noch so kleinen Winkel. Mit der Zeit würde nur noch die weiße Hülle zurückbleiben, ohne Gesichter, ohne Worte. Und wenn sich diese Wolke auch in meinen Erinnerungen in einen langsamen Regen auflöst, dann erlischt ein Teil des Lebens unserer Familie für immer. Die Eisenbetten mit den armseligen Heiligenbildern am Kopfende, die schiefen Wände und der grosse Holztisch mit den beiden Bänken, die dann nicht mehr darauf warten, daß einer kommt, um sich auf ihnen auszuruhen. Nach und nach werden Staub und Spinnweben sie bedecken, und irgendwann einmal schlägt dann der Sturm die ersten Kerben in das Holz. Zurück bleibt eine kleine Geschichte, und sollte sich eines Tages irgend jemand an sie erinnern und sie erzählen wollen, wird er in freundlich lächelnde Augen blicken, die ihn ganz offen anschauen.
    Ach du meine Güte, wie doch die Zeit vergangen ist, wozu sollen solche Geschichten heute denn noch gut sein?

B arcelona, das ist ein Haus, dessen Fenster nicht zur Strasse gehen. Sie schauen auf den Hausflur und den Dienstbotenaufzug.
    Barcelona, das ist alles zu einer ganz bestimmten Uhrzeit. Davor ist es zu früh und danach schon wieder zu spät. Um halb acht am Morgen muß man die Haustür öffnen, im Winter um acht Uhr die Heizung anstellen, um zehn Uhr der Frau, die in der dritten Etage rechts sauber macht, den Wohnungsschlüssel aushändigen, um zwölf Uhr mittags die Post verteilen, um neun Uhr abends die Abfallkübel rausstellen und um zehn Uhr das Haus wieder zusperren …
    Barcelona, das ist ein ferner Himmel und schreckhafte Sterne. Das ist ein feuchter Himmel und ein ganz grauer Regen.
    Barcelona, das ist niemanden zu kennen. Nur die Familie. Und manchmal zu hören, wie mit merkwürdigen Worten gesprochen wird. Das ist zu vergessen, welche Laute die Tiere daheim von sich geben, um gegen Abend zu sehen, wie Hunde an einer Leine ausgeführt werden.
    Barcelona, das ist ein kleines Brot, das jeden Tag aufgegessen wird, und das ist Milch aus einer Flasche, ganz weiß, ohne Rahm, und ganz dünn im Geschmack.
    Barcelona, das ist Lärm ohne Worte und ein klebriges Schweigen, erfüllt mit ganz bestimmten Erinnerungen.
    Und das ist niemanden zu sehen, der Mitleid mit mir haben könnte, und das ist zu sehen, wie die Enkel schwerbeladen mit Büchern von der Schule nach Hause kommen, und einen Apparat zu hören, der spricht und singt, und einen anderen, der redet und einen anschaut, aber ich bin mir nie sicher, ob auch ich gesehen werde.
    Und das ist jeden Tag zu begreifen, daß ich nur noch zu ganz wenigen Arbeiten tauge. Manchmal nach dem Essen die Teller abspülen. Aber wer weiß, ob sie dann auch wirklich sauber sind. Und wenn am Abend Barcelona zu einer Geschichte

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