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Wie ein Stein im Geroell

Wie ein Stein im Geroell

Titel: Wie ein Stein im Geroell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Barbal
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ich nicht verstehen, daß der Schmerz nicht auf der Haut klebt, nicht an den Haaren oder unter den Fingernägeln … Und als ich an meinem ausgemergelten Körper herunterschaute, mit den kleinen Brüsten und den eingezogenen Brustwarzen, da dachte ich etwas ganz Selbstsüchtiges. Nie wieder werde ich Freude und Lust empfinden. Und wenn man es genau nimmt, sind wirMenschen eigentlich ziemlich unbedeutend, auch wenn wir uns bisweilen einbilden, wer weiß wie großartig zu sein.
    Nach all dem Großreinemachen und der ganzen Unruhe untersagte mir die Tante weitere Anstrengungen, aber ich wollte auch nicht mehr. Ich war wie ausgehöhlt. Ich wußte, ich war eine andere Conxa geworden, so als ob ich in diesen anderthalb Monaten viele Jahre gelebt hätte.
    Wenn jemand vom Krieg sprach, und ich war dabei, warteten sie immer darauf, daß ich auch was dazu sagte, doch kein einziges Mal tat ich ihnen diesen Gefallen. Schwiegen aber auf einmal alle, war mir das ganz unangenehm, und manchmal fühlte ich sogar, wie ich brennend rote Wangen bekam. Stand Soledat dabei, dann konnte sie es einfach nicht lassen und brachte die anderen immer wieder dazu, mich zu fragen, wie es uns denn im Krieg ergangen sei.
    Warum sie nur so versessen darauf waren, uns das Leben schwer zu machen? Gleich nach unserer Rückkehr aus dem Lager kamen ständig Leute bei uns vorbei, angeblich weil sie in Sorge um uns waren. Mal war es dieser, mal jener, der behauptete, den Verantwortlichen für Jaumes Tod zu kennen und jemanden aus unserem eigenen Dorf beschuldigte, manchmal sogar einen Nachbarn, und dann zufrieden mit sich selbst wieder fortging. Mir war dabei so schwer ums Herz, doch ich traute mich nicht zu sagen, daß ich all das gar nicht wissen wollte. Ich ertrug die Anschuldigungen mit großer Geduld, denn ich dachte, daß derjenige, der mir da gegenübersaß, es sicherlich gut mit uns meinte.
    Etwas anderes war es, wenn sie kamen und wissen wollten, wie es uns ging, nur um zu sehen, ob wir ihnen nicht die größten – und natürlich besten – Wiesen verkaufen wollten, oder ob wir nicht vielleicht daran dächten, uns von ein paar Kühen zu trennen … Und hast du nein danke gesagt, dann durftest du nicht stolz erscheinen, sonst hättest du zu hören bekommen: «Euch ist es ja noch viel zu gut ergangen!» Irgendwann wußten wir nicht mehr, ob wir einem Unglück oder einer Schuld die Stirn bieten mußten, denn die Leute schienenvon uns zu erwarten, daß wir endlich akzeptieren, besiegt worden zu sein. Wir sollten zeigen, daß wir unsere Lektion gelernt hatten, daß wir uns minderwertig fühlten. Arm und überflüssig, wie wir waren, sollten wir um die Gnade bitten, von den anderen wie ganz normale Menschen behandelt zu werden.
    Elvira hat deshalb oft geweint. Sie war die Älteste und mußte von daher am meisten einstecken. Einmal sollte sie mit anderen jungen Mädchen bei den Augustís in der Küche aushelfen. Die hatten ein Radio, und als die Nationalhymne erklang, lief die Großmutter der Augustís gleich hin und stellte sich kerzengerade mit erhobenem Arm vor den Apparat, und die Mädchen machten es ihr nach. Als die Hymne verklungen war, sagte sie vor allen anderen zu unserer Elvira: «Na, mit viel Überzeugung hast du den Arm aber nicht gerade ausgestreckt. Was war denn los mit dir?» Von da an ließ sich Elvira nicht mehr dazu bewegen, zu den Augustís zu gehen.
    Delina war die einzige, die uns Mitgefühl entgegenbrachte. Sie kam nicht vorbei, um uns irgendwelche Geschichten zu erzählen. Sie kam einfach, wann immer sie konnte. War ich gerade beim Flicken, dann half sie mir dabei, und war ich beim Brotbacken, dann kneteten wir den Teig gemeinsam, und manchmal verging eine ganze Weile, ohne daß wir auch nur ein einziges Wort gesprochen hätten. Gerade deshalb tat mir ihre Gesellschaft gut. Sie wußte ebensoviel wie die anderen, aber niemals gab sie sich dazu her, irgend jemand Bestimmtes zu beschuldigen. Wenn wir manchmal so ganz allgemein redeten, sagte sie nur: Es gibt schlechte Menschen, Conxa, die niemals vergeben.
    Viel Arbeit hatten wir und wenig zu essen. Wir kamen über die Runden, aber nur mit Mühe und Not und weil alle sich abplagten. Die Tante war für das Haus zuständig und Elvira für die Arbeit draußen, denn das traute ich mir nicht zu. Aber wir legten uns alle ins Zeug, so gut wir konnten.
    Wie die Perlen in einem Rosenkranz reihte sich ein Tag an den anderen. Der eine verging schnell, der andere langsam, wenn du sie aber alle

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