Wie einst in jenem Sommer
sich kalt und klinisch an, dachte Carrie. Natürlich wusste sie, dass Andreas nach einer praktikablen Lösung suchen musste.
„Vielen Dank, dass Sie sich heute Nachmittag um sie gekümmert haben, Marcia. Wenn wir Glück haben, kehrt hier bald wieder Normalität ein“, fügte er hinzu.
„Gern geschehen.“ Marcia lächelte.
Was versteht er unter Normalität?, überlegte Carrie. Vermutlich, dass er arbeiten und sich mit irgendwelchen Frauen vergnügen kann. Die Vorstellung, Lilly könnte hauptsächlich vom Personal betreut werden, widerstrebte ihr sehr. Aber vielleicht würde es ja gar nicht so weit kommen. Sie war gerade erst angekommen und wusste überhaupt nicht, was Andreas vorhatte. Möglicherweise wäre er bereit, weniger zu arbeiten. Nein, ganz sicher nicht. Andreas lebte schließlich für seine Arbeit.
„Es hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen, Carrie“, sagte Marcia, griff nach ihrer Handtasche und ging zur Tür.
„Danke, gleichfalls.“ Lächelnd blickte Carrie der Haushälterin nach.
Andreas begleitete sie zur Tür, und Carrie widmete sich wieder dem Baby.
Lilly war so klein und schutzlos und ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Die gleichen tiefblauen Augen und blonden Locken.
Lilly lächelte und strampelte und hielt bittend die Ärmchen hoch.
„Du willst wirklich raus aus deinem Bettchen, oder?“, fragte Carrie, hob sie hoch und nahm das warme kleine Bündel auf den Arm.
Es war gut, herzukommen, dachte sie. Erst jetzt wurde ihr richtig bewusst, wie sehr sie an Lilly hing.
Vertrauensvoll schmiegte die Kleine sich an sie. Carrie bemerkte das volle Fläschchen auf dem Tisch.
„Hast du vielleicht Hunger?“ Sie griff nach der Flasche, prüfte die Temperatur der Milch auf dem Handrücken und stellte fest, dass sie zu sehr abgekühlt war. „Komm, wir suchen die Küche und machen ein neues Fläschchen.“
Die Eingangshalle lag verlassen vor ihr, aus einem der vielen Zimmer hörte Carrie jedoch Andreas’ Stimme. Offensichtlich telefonierte er. Wahrscheinlich geht es mal wieder ums Geschäft, dachte sie. Etwas anderes scheint er nicht im Sinn zu haben. Dieser Mann wäre niemals bereit, beruflich kürzerzutreten.
Mit Lilly auf dem Arm ging sie den langen Flur entlang und öffnete mehrere Türen auf der Suche nach der Küche.
Das Haus verfügte über jeden erdenklichen Komfort. Sie entdeckte sogar einen supermodernen Fitnessraum. Andreas trainierte also, damit seine Figur perfekt blieb. Schnell schob Carrie jeden Gedanken an Andreas’ Körper beiseite. Er hatte sie nicht zu interessieren.
Schließlich fand sie die Küche am anderen Ende des Hauses. Der Blick ging auf einen makellos gepflegten Garten hinaus und auf noch einen Swimmingpool. Ein Sonnenblumenfeld grenzte daran. Die Sonne ging gerade unter und tauchte die gelben Blumen in rosa Licht.
Carrie wusste gar nicht, was sie zuerst bewundern sollte – die spektakuläre Aussicht oder die Küche. Sie war riesig. Auch hier hatte man keine Kosten gescheut. Die Arbeitsflächen bestanden aus Granit, die Schränke waren cremefarben. Ein schwarz-silberfarbener Herd von enormen Ausmaßen wirkte wie alles neu und unbenutzt.
Welch ein Unterschied zu ihrer eigenen kleinen Küche, die schon bessere Tage gesehen hatte! Aber Carrie kam einfach nicht dazu, eine neue zu kaufen, denn sie arbeitete ja fast rund um die Uhr und hatte keine Zeit, sich um die Wohnungseinrichtung zu kümmern. Seit der Trennung von Mike hatte sie ja nicht einmal mehr ein Privatleben.
Einen Moment lang dachte sie an Mike. Sie hatte ihn für solide und zuverlässig gehalten und Jo von ihm vorgeschwärmt. Wenige Tage später hatte sie dann herausgefunden, dass er sie die ganze Zeit mit seiner Sekretärin betrogen hatte.
Und sie hatte ihm geglaubt, als er ihr weismachte, er empfände tiefe Gefühle für sie.
Lilly wurde ungnädig, und Carrie schaute sich suchend nach dem Milchpulver um. Sie hatte jetzt keine Zeit, über Mike nachzudenken. Es gab Wichtigeres in ihrem Leben. Da war ja das Milchpulver. Schnell bereitete Carrie ein neues Fläschchen und fütterte das Baby.
Lilly trank hungrig. Das Geräusch hatte eine erstaunlich heilsame Wirkung auf Carrie. London, ihr hektischer Job und der untreue Mike verblassten in weiter Ferne.
Zärtlich küsste sie die Kleine auf die Stirn. Das Baby duftete nach Shampoo und Rosenwasser. „Jetzt wird alles gut, meine Süße“, sagte sie leise.
Hoffentlich! Was wusste ein unverheirateter Geschäftsmann über Babypflege?
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