Wie entführt man einen Herzog?
ihrem Schminktisch, den sie für den Abend in einen Schreibtisch verwandelt hatte. Sie war sehr zufrieden mit sich. Ihre Feder war nur so über die Seiten geflogen. Fast hätte man meinen können, sie schriebe den Text der ‚Odyssee‘ nur ab. Dabei hatte sie eine, wie ihr schien, recht gute Übersetzung der ersten Verse erstellt. Offenbar hatte die Tatsache, dass Adam ihr das griechische Original zum Geschenk gemacht hatte, sie ebenso inspiriert wie das lebhafte Gespräch beim Tee.
Unwillkürlich seufzte sie auf. Welch ein Erlebnis, mit dem Politiker zu diskutieren, den sie seit Langem bewunderte! Dass er ihr Gatte war, hatte sie ganz vergessen, bis er sie aufforderte, ihm in sein Arbeitszimmer zu folgen, damit er ihr zeigen konnte, wie er seine Reden vor dem House of Lords vorbereitete.
Himmel, sie lebte jetzt unter seinem Dach! Sie hatten gemeinsam Tee getrunken, ganz so wie man es von einem Ehepaar wohl erwarten konnte. Und er hatte sie geküsst! Sicher, es war nur ein Kuss auf die Wange gewesen. Trotzdem hatte er sie völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Vermutlich hatte sie Adam angestrahlt wie einen Helden. Ihre Bewunderung hatte ihn allerdings nicht davon abgehalten, mit Tim zu White’s zu gehen. Was natürlich vollkommen in Ordnung war … Niemand rechnete damit, dass ein Ehepaar die Abende gemeinsam verbrachte.
Ich jedenfalls ziehe es vor, mich meinen Studien zu widmen, dachte Penelope. Adam zu irgendwelchen Gesellschaften zu begleiten wäre ihr sehr lästig gewesen.
Tatsächlich hatte die Arbeit an der ‚Odyssee‘ ihr große Freude gemacht – wenn auch erst, nachdem sie den Rosa Salon verlassen und sich in ihrem Schlafzimmer eingerichtet hatte. Im Salon hatte sie sich nicht konzentrieren können. Immer wieder war ihr Blick zu dem Paar aus Porzellan gewandert, das im Begriff schien, sich zu küssen.
Oben hatte sie sich ungestört ihrer Übersetzungstätigkeit widmen können. Nur selten waren ihre Gedanken zu Adam gewandert, der sich offenbar in einem Club, den nur Männer betreten durften, wohler fühlte als in seinem eigenen Heim. Bestimmt würde er spät nach Hause kommen. Oder war er da etwa schon?
Sie spitzte die Ohren. Ja, das war eindeutig seine Stimme. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es gerade erst elf war. War er daran gewöhnt, früh zu Bett zu gehen? Oder fiel sein Verhalten an diesem Abend aus dem Rahmen? Nun, eigentlich ging sie das nichts an. Trotzdem war es ein gutes Gefühl zu wissen, dass Adam daheim war.
Ob es neugierig oder aufdringlich wirkte, wenn sie nach unten ging, um sich eine Tasse Tee zu holen? Sie konnte bei der Gelegenheit einen Blick in sein Arbeitszimmer werfen. Vielleicht hatte er Lust, noch ein wenig mit ihr zu plaudern.
Entschlossen erhob sie sich, zog den Gürtel ihres Morgenmantels straff, fuhr sich glättend übers Haar und warf einen kritischen Blick in den Spiegel. Dann lachte sie sich selbst aus. Sie war doch nie eitel gewesen!
An der Tür blieb sie stehen. Von der Treppe her waren Schritte zu hören. Wenn Adam nach oben kam, war es sinnlos, nach unten zu gehen. Jetzt musste er sein Zimmer erreicht haben. Aber anscheinend ging er weiter. Nein, doch nicht!
Er ist vor meiner Tür!
Penelope wartete darauf, dass er klopfen würde. Alles blieb still. Dabei musste er doch sehen, dass in ihrem Zimmer noch Licht brannte!
Wenn sie mutiger gewesen wäre, hätte sie einfach die Tür geöffnet und sich überrascht von seiner Anwesenheit gezeigt. Sie hätte sogar einen kleinen Zusammenstoß arrangieren können, damit Adam sie stützte. Einen Moment lang sehnte sie sich heftig danach, von ihm berührt zu werden.
Dann schalt sie sich selbst eine alberne Frau und ging leise zu ihrem improvisierten Schreibtisch zurück. Gleich darauf waren vom Flur her wieder Schritte zu vernehmen. Und wenig später hörte sie, wie ihr Gatte die Tür zu seinem Schlafzimmer öffnete.
Mit einem Seufzen packte Penelope ihre Schreibutensilien zusammen. Es war Zeit, zu Bett zu gehen.
9. KAPITEL
Als Penelope am nächsten Morgen erwachte, blieb sie still im Bett liegen und lauschte auf Geräusche aus dem Nebenzimmer. Würde Adam zu ihr herüberkommen und ihr eine Erklärung für sein seltsames Benehmen in der Nacht zuvor geben?
Nein, er kam nicht. Also läutete sie schließlich nach Molly. Sie ließ sich beim Ankleiden helfen und begab sich ins Frühstückszimmer, um dort auf ihren Gatten zu warten. Doch der hatte das Haus schon vor einiger Zeit verlassen, wie sie von Jem
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