Wie es dem Glück beliebt
vergaß, auf die Umgebung zu achten, in der diese Anekdoten spielten.
Dort drüben war die erste Taverne, die er und Whit jemals besucht hatten. Im reifen Alter von fünfzehn Jahren hatten sie es geschafft, sich restlos zu betrinken, bevor es acht schlug. Zwei kräftige Diener hatten sie aus der Schenke tragen müssen.
Und dort war die Ecke, an der der zehnjährige Alex auf der panischen Flucht vor Lady Willards bösem kleinen Dachshund den Karren eines Obstverkäufers umgeworfen hatte. Dieses Missgeschick hatte sein erstes Paar Kniehosen – auf das er außerordentlich stolz gewesen war – ruiniert und ihn genötigt, sechs Tüten zermatschte Äpfel und vierzehn Zitronen zu erwerben.
Sophie lauschte seiner Stimme, dem rauen Klang, den Höhen und Tiefen, die so charakteristisch für ihn waren. Sie beobachtete, wie er regelmäßig die linke Augenbraue hochzog, aber niemals die rechte. Ihr fiel auf, dass er sich mit einem Finger aufs Knie klopfte, wenn er sich in Gedanken verlor, und wenn er lachte, reckte er das Kinn hoch. Sie sah, wie sich harte Muskeln unter dem Stoff seiner Kleider bewegten, und wie die bloße Berührung seines Armes ein langsam wanderndes Brennen auf ihrer Haut auslöste. Sie wurde darauf aufmerksam, dass sein Blick zu ihrem Mund zu fliegen schien, wann immer es geschah. Sie beobachtete jede Einzelheit an ihm, und es verunsicherte sie.
Sie konnte es sich nicht leisten, ihr Herz an den Herzog von Rockeforte zu verlieren. Es kümmerte sie nicht, dass er anscheinend die Gewohnheit hatte, Frauen zu verführen, und dass er niemals irgendwelche Gefühle jenseits schlichten körperlichen Begehrens für sie zum Ausdruck gebracht hatte. Sie konnte es nicht riskieren, dass ihr Herz sie von der Notwendigkeit einer Heirat mit einem geeigneten Herrn ablenkte. Die Aufgabe war schon schwierig genug, auch ohne die zusätzliche Komplikation einer unerwiderten Liebe.
Im Laufe der nächsten Stunde unternahm sie eine nahezu heldenhafte Anstrengung, sich gefühlsmäßig von dem Mann zu distanzieren, der ihr gegenübersaß. Und scheiterte kläglich. Nur, dass ihr nicht kläglich zumute war. Sie lachte und flirtete, redete und debattierte. Sie war glücklicher und entspannter, als sie es seit sehr langer Zeit gewesen war. Da sich das im Laufe des Nachmittags wahrscheinlich kaum ändern würde, beschloss sie, die Frage sicherer Entfernung ruhen zu lassen und sich einfach nur zu amüsieren.
»Haben Sie Hunger?«, fragte Alex.
»Ein wenig.«
»Ausgezeichnet. Ich kenne genau das richtige Lokal.«
›Das richtige Lokal‹ entpuppte sich als baufälliges Gasthaus mit Taverne in der Nähe des Hafens.
»Sind Sie sicher, dass niemand, der uns kennt, hier sein wird?«
»Absolut«, erwiderte er. »In dieses Lokal setzt niemand aus den besseren Vierteln je einen Fuß.«
Sie glaubte ihm das ohne Weiteres. Der große Schankraum war voller lärmender Gäste in zweckmäßiger Arbeitskleidung, die laut sprachen und noch lauter lachten. Mehrere kleine Kinder flitzten mit solch glückseliger Hemmungslosigkeit von Tisch zu Tisch, dass es unmöglich war festzustellen, welches Kind zu welchen Eltern gehörte. Ein stetiger Strom freundlicher Kellnerinnen pendelte zwischen dem Schankraum und der Küche hin und her. Für die feine Gesellschaft wäre das Ganze eine Studie des Pöbels gewesen. Für Sophie war es ein sauberes Etablissement, in dem die Mehrheit der Speisenden aus glücklichen, gut genährten Familien bestand. Sie hatte schon in erheblich respektableren Esszimmern gesessen, wo man den unglücklichen Gästen drittklassige Speisen vorsetzte, zubereitet von einem überbezahlten, fünftklassigen Koch.
»Sie sind offensichtlich schon hier gewesen«, bemerkte sie, sobald sie an einem Tisch Platz genommen hatten.
»Mr McLeod war ein Stallbursche meines Vaters«, erklärte Alex. »Einmal, als ich noch ein kleiner Junge war, bin ich meiner Kinderfrau ausgerissen und in einen Fischteich gefallen. Es war Mr McLeod, der mich fand und herauszog.«
Unsicher nahm Sophie einen Schluck aus dem Humpen Bier, den ein Schankjunge gebracht hatte. »Er hat Ihnen das Leben gerettet.«
»Das hat er. Als mein Vater starb, hat er den McLeods eine kleine Summe vermacht, und mit diesem Geld haben sie diese Schenke eröffnet. Seine Frau und seine Töchter waren schon immer begabte Köchinnen.«
»Ihr Vater muss ein sehr freundlicher Mann gewesen sein«, murmelte Sophie leise.
»Und willensstark«, stimmte Alex mit einem liebevollen Lächeln zu.
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