Wie es Euch gefaellt, Mylady
nicht reisen wollte. Nicht auszudenken, welche Ausreden sie erfinden müsste, wenn sie einem der Dienstboten in die Hände fiel.
„Was kramst du noch hier herum, Julia?“, fragte ihre Tante von der Tür her. „Boscastles Wagen muss jede Minute vorfahren.“
Julia starrte entgeistert auf die leere Stelle hinter der Harfe, einem Erbstück ihres irischen Großvaters. Die Zeichnung war verschwunden. Das Musikzimmer wurde seit Jahren nicht benutzt, es gab kein geeigneteres Versteck im ganzen Haus.
„Oh nein“, stieß sie tonlos hervor und wandte sich an ihre Tante. „Warst du kürzlich in diesem Zimmer?“
„Ja. Erst gestern“, antwortete Hermia. „Das war ja eine wahre Rumpelkammer. Ich habe mir gestattet, es von zwei Handlangern entrümpeln zu lassen.“
Julia entfuhr ein spitzer Schrei. „Das hast du nicht getan!“
„Sagte ich doch grade. Du meine Güte, Julia. Der Raum war voller Unrat, man konnte sich kaum noch bewegen. Überall alte Zeitungen und verstaubte Kartons. Oder wolltest du damit ein Feuer machen?“
„Was haben die Männer mit den alten Zeitungen getan?“
„Weggeworfen, nehme ich an“, antwortete Hermia achselzuckend. „Da war doch nichts Wertvolles dabei, oder?“
„Wie man‘s nimmt“, grollte Julia und versuchte, ihre aufsteigende Panik zu beherrschen. „Ich wünschte, du hättest mich vorher gefragt, Hermia.“
22. KAPITEL
Der Landsitz des Marquess of Sedgecroft lag in einer sanften Talmulde, begrenzt von bewaldeten Hügeln in der Nähe eines idyllischen Dorfes mit Fachwerkhäusern und einer Kirche aus dem Mittelalter. Im sechzehnten Jahrhundert erbaut, war das stattliche Herrenhaus im Lauf der Jahrhunderte durch Anbauten erweitert worden, um den Bedürfnissen der jeweiligen Besitzer gerecht zu werden. Der gegenwärtige gesellige Hausherr und seine Gemahlin luden gerne Freunde übers Wochenende ein, zur Jagd und zu anderen Vergnügungen, die das Landleben bot.
Allerdings waren Grayson und Jane noch nicht eingetroffen, da sie sich entschlossen hatten, einen Abstecher ans Meer zu machen, um Verwandte von Jane zu besuchen. Heath und Julia hatten das riesige Haus praktisch für sich, wenn man Tante Hermia, Hamm und die zahlreiche Dienerschaft nicht zählte. Jedenfalls boten die weitläufigen Seitenflügel reichlich Gelegenheit für Privatsphäre und Ungestörtheit.
Am Abend ihrer Ankunft zogen die Gäste sich nach einem leichten Imbiss in ihre jeweiligen Zimmer zurück, um ihre Koffer auszupacken. Ein Diener führte Julia eine gewundene Steintreppe in den zweiten Stock hinauf und einen endlos langen, von Wandfackeln erhellten Flur entlang bis zu einem Rundbogen und einer schweren Eichentür.
„Ein Turmzimmer!“, rief sie und drehte sich nach Heath um, der ihnen folgte. „Was hat das zu bedeuten?“
Er lächelte amüsiert. „Es ist nur zu deinem Schutz.“
„Schutz? Ich komme mir vor wie eine Gefangene.“
„Unsinn.“ Er nickte dem Diener zu. „Danke, Collins. Und morgen früh stellen Sie Wasser und Brot vor die Tür der Dame.“
„Sehr witzig“, murrte Julia, als er die quietschende Tür öffnete. Sie blickte in ein überraschend behagliches Zimmer, von zahlreichen Kerzen erleuchtet. Die Einrichtung bestand aus einem goldgefassten zierlichen Frisiertisch, einem Damensekretär und einem breiten Baldachinbett aus Mahagoni, behangen mit weinrotem Samtdraperien. Im rosa geäderten Marmorkamin prasselte ein Feuer. „Wie … wie hübsch. Das hübscheste Gefängnis, das ich je gesehen habe.“
Er lachte trocken. „Hier haben meine Vorfahren ihre geraubten Prinzessinnen untergebracht.“
Julia bewunderte ein Gemälde über dem Kamin, eine beschauliche Schäferszene aus dem Rokoko, bis sie bei näherem Hinsehen erkannte, womit das bukolische Paar im Heu beschäftigt war. Eine ausgesprochen freizügige Szene erotischer Freuden. „Es erübrigt sich wohl zu fragen, wozu dieses Zimmer deinen Vorfahren sonst noch diente“, sagte sie und drehte sich langsam um.
Und stieß beinahe gegen Heath, der dicht hinter ihr stand und sie mit unmissverständlicher Wollust im Blick musterte. Ihre Hand nestelte am Verschluss ihres grauen Reisemantels. Plötzlich war ihr warm geworden. Wann würde sie lernen, dass ein Boscastle keine halbe Sachen machte? An etwas Ähnliches musste Jane wohl gedacht haben bei ihrer Warnung, auf der Hut zu sein.
„Warum so nervös, Julia?“, fragte er scherzend. Er umkreiste sie, legte die Hände auf ihre Schultern und zog sie an seine breite
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