Wie es uns gefällt
Buch. « ‹Wie oft sind Menschen, schon des Todes Raub, noch fröhlich worden. Ihre Wärter nennen’s den letzten Lebensblitz.› Will, wie findest du das? Einfach großartig!»
«Der Blitz kommt bei ihm öfter vor. In Romeo und Julia steht ein Vers – »
Sein Vater hörte ihm gar nicht zu. Er suchte bereits nach einer anderen Stelle, um seinen Sohn zu beeindrucken. Er liebte es, Dramen zu rezitieren. Er bildete sich ein, er hätte eine volle, tragende Stimme, während sie in Williams Ohren oft nur hohl und unsicher klang.
Einmal waren sie «auf den Spuren des Barden» nach Stratford gereist, wie es Samuel Ireland nannte. William wusste, wie sehr sein Vater die Gelegenheiten genoss, dem häuslichen Umfeld durch eine Reise zu entfliehen. Dann konnte er sich vorübergehend seiner Buchhandlung entledigen und fern von den wachsamen Augen der allgegenwärtigen Rosa Ponting eine distinguiertere Stellung in der Öffentlichkeit einnehmen. «Und welchen Geschäften gehen Sie nach, Sir?», hatte einer der Mitreisenden in der Kutsche nach Stratford zu fragen gewagt. Samuel Ireland hatte ihn einen Augenblick stumm gemustert. «Mein Herr, ich bin Lebenskünstler.»
An jenem Abend waren sie in Stratford im Swann Inn abgestiegen. Am nächsten Morgen hatten sie Ralph Hart einen Besuch abgestattet, einem Metzger, der mütterlicherseits mit Shakespeare verwandt war. Er wohnte noch immer im Shakespeare-Haus in der Henley Street. Der Gelehrte Edmond Malone hatte Samuel Ireland ein Empfehlungsschreiben mitgegeben. An der Fassade des alten Gebäudes hing ein Schild, auf dem in schwarzen Druckbuchstaben zu lesen war: «Geburtshaus von William Shakespeare. P. S.: Leichter Einspänner samt Pferd zu vermieten.»
«Welche Ehre, Sir», hatte Hart gesagt, als sie den schmalen Hausflur betraten.
«Ich fühle mich meinerseits geehrt, Sir, dass ich einem Mitglied dieser Familie in einer solchen Umgebung begegnen darf. Sir, dies ist mein Sohn William.»
William schüttelte Hart die Hand. Hart hatte einen warmen, kräftigen Händedruck. William stellte sich vor, wie diese Hand einen Hasen oder ein Huhn im Genick packte. Der Metzger war klein gewachsen, kahlköpfig und sehr blass.
«Für Literatur fehlt mir jede Begabung, Mr Ireland. Ich bin nur ein Handwerker.»
«Aber ein ehrenwertes Handwerk.» Samuel Ireland gab sich sehr leutselig. «Der Vater des Barden war doch auch Metzger gewesen, oder?»
«Das ist umstritten. Einige behaupten, er sei Handschuhmacher gewesen. Allerdings hielt er Rinder. Kommen Sie doch in die gute Stube. Manche bezeichnen sie auch gern als ‹die Hall›.»
Hart machte auf William einen beherrschten und entschlossenen Eindruck. Sein Geschäft florierte sicher prächtig.
«Eine Tasse Tee? Ich habe zwar keine Frau, aber eine sehr gute Haushälterin.»
«Gewiss eine unschätzbare Hilfe, Sir.»
William Ireland beschlich ein äußerst merkwürdiges Gefühl: Er befand sich im mutmaßlichen Geburtshaus von William Shakespeare, saß in einem Raum, durch den dieser tausendmal gelaufen war, und entdeckte in den Gesichtszügen dieses Metzgers leise Anklänge an seinen berühmten Vorfahren. Und doch regte sich in ihm kein Empfinden, kein Gefühl vertrauter Nähe, kein Funken Verzauberung. Dies war für ihn das größte Rätsel, und er schrieb sie seiner eigenen Unfähigkeit zu. Ein sensiblerer Mensch wäre in dieser erinnerungsschwangeren Atmosphäre sicher förmlich aufgeblüht. Ein Schöngeist wäre hier wie von einem Paukenschlag getroffen gewesen. Er aber, er verspürte – nichts. Das Haus war leer.
«Mr Ireland, haben Sie schon von unserer jüngsten Entdeckung gehört? Hier im Haus hat man hinter einem Dachsparren das Testament von Shakespeares Vater gefunden. Auf dem Speicher, wo ich meine alten Sudkessel aufbewahre.»
William blickte nach oben. Dabei entdeckte er, dass an den Querbalken der Stube immer noch die Fleischerhaken für die verschiedenen Schinken hingen.
«Damit meinen Sie doch dieses papistische Testament von John Shakespeare, nicht wahr?» Beim Wort «papistisch» senkte Samuel Ireland leicht die Stimme.
«In der Tat.»
«Aber es gibt sicher Zweifel, Mr Hart, oder? Könnte es sich nicht um eine Fälschung handeln? Um das Werk irgendeines Fanatikers?»
«Unser gemeinsamer Freund, Mr Malone, hält es für echt. Es soll im Gentleman’s Magazine veröffentlicht werden.»
William fiel auf, dass sich das blasse Gesicht des Metzgers zartrosa verfärbt hatte. Unwillkürlich wandte er sich mit
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