Wie es uns gefällt
Ireland noch nie gehört.
«Einen Paläographen, jemanden, der alte Handschriften entziffern kann.»
«Mr Edmond Malone hat bereits die Unterschrift überprüft.»
«Malone ist Gelehrter, aber kein Paläograph. Würden Sie mich einen Moment entschuldigen?» Dawson setzte sich an seinen Schreibtisch und kritzelte hastig etwas auf eine Karte.
«Jane!»
In der Tür erschien eine junge Frau mit einem Setzkasten voller Metalllettern unter dem Arm.
«Könntest du das zu Mr Baker bringen? Die Adresse kennst du ja.»
Samuel Ireland fand Jane interessant. Kurz geschnittene dunkle Haare im sogenannten marokkanischen Stil umrahmten ein ovales Gesicht. Sie erinnerte ihn an das Porträt von Lady Keppel in Somerset House.
«Mr Baker ist ein anerkannter Spezialist für Handschriften des sechzehnten Jahrhunderts. Ich habe ihn gebeten, bei uns vorbeizukommen. Noch einen Schluck Soda?»
Ireland nahm dankend an und trank das Glas Sodawasser rasch aus.
«Sie sind schnell, Mr Baker.»
Jonathan Baker war ein kleiner, untersetzter Mann, dessen Gesicht völlige Erschöpfung signalisierte. Die Mundwinkel waren nach unten gezogen, seine Lider hingen schwer herab. Auf Samuel Ireland wirkte er wie die Figur des Pantalone aus der Commedia dell’Arte. Bei seiner Ankunft in der Redaktion trug Baker einen sogenannten «Morning Glory» auf dem Kopf, einen hohen Hut undefinierbaren Alters.
«Mr Dawson, wenn Sie mich rufen lassen, fliege ich förmlich herbei.» Seine Stimme klang leicht und fast spielerisch. «Darf ich das Dokument sehen?»
Er hatte Samuel Ireland keines Blickes gewürdigt, als könnte selbst ein beiläufiger Gruß seine Untersuchung beeinflussen. Er nahm das Testament und hielt es gegen das Licht, das vom Fenster hereindrang.
«Das Papier ist in Ordnung. Das Wasserzeichen stammt aus dieser Epoche. Und die Tinte ist ganz famos. Sehen Sie, wie sie beim Eindringen in die Fasern verblasst ist?» Er hatte vergessen, dass er immer noch seinen Hut aufhatte, und nahm ihn mit einer Entschuldigung ab. «Es handelt sich um eine gute Handschrift aus dem sechzehnten Jahrhundert. Ich hatte schon früher Gelegenheit, Shakespeares Unterschrift zu studieren – »
«Und wo wäre das gewesen, Sir?»
«Sein Letzter Wille liegt in der Rolls Chapel. Hinter Glas, Mr Dawson. Trotzdem habe ich mich eingehend damit befasst.» Er zog einen Papierstreifen aus seiner Tasche. «Ich habe die Unterschrift mithilfe eines von mir erfundenen Mikromemnonigraphen abgepaust.» Auf diesem Papierstreifen standen mehrere Linien und Zahlen. «Wissen Sie, ich habe meine eigene Kalligraphiemethode. Sie beruht auf exakten Prinzipien.»
Bakers Stimme klang so lebendig und elegant, dass Samuel Ireland einen Augenblick die wahre Bedeutung seiner Worte entging. Doch als Baker in die Betrachtung der Unterschrift auf dem Testament versank, wurde ihm langsam unwohl in seiner Haut. Was wäre, wenn dieser Mann eine Fälschung witterte?
Unter gelegentlichen Ausrufen wie «Oh!» und «Aha!» beugte sich Baker über das Dokument, bis seine Nase fast das Pergament berührte. Schließlich ertönte der Satz: «Es gibt ein paar Abweichungen, aber unter gewissen Umständen ist so etwas durchaus möglich. Insgesamt neige ich dazu, dieses Dokument für echt zu halten. Meinen Glückwunsch, Sir.» Zum ersten Mal sah er Ireland direkt an. «Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie dieses Blatt hierher gebracht haben?»
«Ich hatte die Ehre.»
«Dann haben Sie uns einen großen Dienst erwiesen.»
Als Samuel Ireland später diese Szene seinem Sohn erzählte, imitierte er jede Geste von Dawson und von Baker. Wie Baker sich vor ihm verbeugt hatte. Wie Dawson begeistert mit einer Sodaflasche herumgewedelt hatte. Und wie Jane unter der Türe «Hurra!» gerufen hatte.
Zuerst war William entsetzt, als sein Vater berichtete, man habe einen Paläographen hinzugezogen. Mit welchem Recht hatte dieser Dawson einen Fremden rufen lassen? Doch als ihm sein Vater erzählte, zu welchem endgültigen Urteil man gelangt war, lachte er lauthals auf.
«Was hast du denn erwartet, Vater?», fragte er ihn. «Wer hätte an dir zweifeln können?»
William verließ kurz darauf das Zimmer. Er schwebte förmlich vor Begeisterung und wollte dabei nicht beobachtet werden.
6
«Was ist mit ‹Krämpfen› gemeint?»
Es war der erste Frühlingstag. Charles Lamb saß mit Tom Coates und Benjamin Milton im Billiter Inn.
«Irgendwo habe ich gelesen, Julius Caesar habe unter
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