Wie Feuer und Eis - On Thin Ice
hingehst. Du brauchst Hilfe. Ich schaffe es allein nach Hause.«
»Tust du nicht«, sagte er mit grimmigem Gesicht. »Es gibt die nächsten zwölf bis sechzehn Stunden keinen Flug. Der Sturm …«
»Du bist also nicht einmal sicher, ob deine Leute schon in Nikolai sind, wenn ich dort ankomme?«, fragte sie.
»Sie werden da sein.«
»Bevor oder nachdem dieser Kerl mich oder dich umgebracht hat?«
»Lily, wir haben dazu jetzt keine Zeit.«
»Aber du willst mich aus diesem Rennen nehmen, als sei ich ein Kind, das eine Auszeit braucht? Ohne eine verdammte Erklärung?«
»Nächstes Jahr wird es wieder ein Rennen geben. Gewinn lieber das.«
Sie wollte ihn schlagen. Aber sie half ihm, die flatternde Plane über den Schlitten zu ziehen und zu sichern. Die Plane fühlte sich an, als sei sie lebendig und kämpfe ums Überleben. »Verdammt, Derek«, geiferte sie. »Das Rennen ist mir scheißegal. Ich denke nur an Mr. Superagent, der gerade eben über einen verdammten Kaffeebecher gestolpert ist.«
»Ich habe ihn nicht gesehen.«
»Eben.«
»Tu es für mich, Lily. Lass es gut sein. Hab Mitleid mit den Blinden.«
»Gut. Ich tue, was du willst. Aber wer sagt mir, dass ich zwischen hier und Nikolai sicher bin? Meine Pistole hab ich im Wasser verloren, und mein Gewehr ist kaputt.« Sie pausierte, suchte nach Munition. »Hat Barber dir gesagt, wer ihn geschickt hat?« Derek zuckte zusammen und schüttelte den Kopf. »Nein? Gut, ich lasse es damit bewenden. Bis jetzt waren sowohl Croft als auch Barber hinter mir her. Was, wenn der Nächste nur darauf wartet, dass wir uns trennen?«
Er machte unter all den Kratzern ein fast flehentliches Gesicht, und Lily wusste, dass sie einen direkten Treffer gelandet hatte. Aber deshalb fühlte sie sich auch nicht besser.
»Lily …«
»Nein. Hör mir zu. Du sagst, du willst nicht, dass ich mit dir komme. Und offen gesagt, macht mich die Vorstellung, mich mitten in einen Terroranschlag zu begeben, nicht glücklich, aber es ist eine Tatsache, dass du im Moment nicht einmal die Hälfte deines Sehvermögens hast. Und das ist meine Schuld.«
»Lily …«
Sie setzte ihre Schneebrille auf, weil der Wind langsam anfing, ins Gesicht zu stechen. Als ein großer Klumpen Schnee mit lautem Rauschen vom wippenden Ast eines in der Nähe stehenden Baumes fiel, sprang sie förmlich in die Höhe. Himmel, sie war wirklich schreckhaft geworden.
»Der Sturm ist fast schon da«, sagte sie bemüht gelassen. »Wir haben jetzt keine Zeit, darüber zu streiten, nicht wahr? Solange ich mit dir zusammen fahre, wo immer du auch hin musst, bin ich jedenfalls in Sicherheit. Und sobald wir dort sind, nehme ich die Hunde und suche mir ein sicheres Plätzchen, bis die Gefahr vorüber ist. Und du kannst tun, was du tun musst. Schau mich nicht so an. Du weißt, dass es keinen anderen Weg gibt. Irgendwer muss sich um die Hunde kümmern. Da bin ich die Richtige. Und falls es hart auf hart kommt und wir in eine Krise geraten, helfen dir meine Schießkünste vielleicht weiter.«
»Ich will dich, in einer verfluchten Krise , im Radius von fünfhundert Meilen nirgendwo sehen.«
»Dann sind wir schon zwei. Glaub mir.« Lily breitete die Hände aus und ließ sie sinken. »Im Gegensatz zu den letzten paar Tagen hege ich keinen Todeswunsch. Pack deine Sachen fertig«, sagte sie brüsk und drehte sich um. »Ich such unsere schnellsten Hunde zusammen und schirre sie an.«
»Nein.«
»Red mit dir selber«, empfahl Lily. »Die Zeit läuft uns davon.«
Derek musste sich schließlich eingestehen, dass Lily Recht hatte. Er würde es nicht alleine schafften. Sein Sehvermögen war stark beeinträchtigt, und das Eis half kaum gegen die Schwellung. Er brauchte sie nicht nur zum Sehen, sondern Lily war in diesem Fall auch die Expertin. Sie würde die schnellsten Schlittenhunde mit dem besten Durchhaltevermögen zusammenstellen. Achtzehn der besten Schlittenhunde im ganzen Land. Und nicht nur die Hunde waren erstklassig, Lily galt als eine der besten Musherinnen überhaupt. Sie würde ihn schneller ans Ziel bringen, als er selbst es vermocht hätte.
Sie trainierte unter den schlimmsten Wetterbedingungen. Hunderte und Hunderte von Meilen. Bei Sturm würde ihre Erfahrung unschätzbar sein. Zum einen brauchte er sie, zum anderen wollte er sie verzweifelt in Sicherheit wissen. Er wog das Pro und Kontra ab.
Was, wenn Croft und Barber nicht die Einzigen waren, die sie geschickt hatten? Wie sicher war sie auf der Strecke wirklich ?
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