Wie Feuer und Eis - On Thin Ice
überwältigender Kraft.
Lily wachte höchst widerwillig vor der Morgendämmerung auf. Der Traum war eine verschwommene Erinnerung. Albtraum war passender. Es spielte keine Rolle, dass sie den Traum genossen hatte. Jeder Traum, in dem Derek sie küsste, war als Albtraum einzustufen. Sie schaute sich auf dem Lagerplatz um, zögerte das Aufstehen hinaus und versuchte, den Traum zu vergessen.
Die Landschaft war schwarz und weiß. Nein, sie wollte
nicht aus ihrem warmen Schlafsack heraus. Während der Nacht waren ein paar andere Teams dazugestoßen. Sie hatte nichts gehört. Hunde und Schlafsäcke lagen um das Feuer herum, das immer noch brannte und ein wenig Wärme spendete.
Derek lag neben ihr, das Gesicht in ihre Richtung, der Schlafsack einen halben Meter von ihrem entfernt. Er hatte die schwarze Pelzmütze bis über die Brauen gezogen, ansonsten war sein Gesicht den Elementen ausgesetzt. Spürte der Mann denn keine Kälte?
Sie ließ den Blick von den langen dunklen Wimpern zur gebogenen Nase, zu den scharf geschnittenen Wangenknochen wandern und auf dem Mund verweilen.
Sie erinnerte sich daran, wie seine Lippen sich angefühlt hatten. Erinnerte sich an seinen Geschmack. Daran, wie er sie an seinen Körper gedrückt hatte. An all das, was sie vor sechs Jahren empfunden hatte. Die sexuelle Energie zwischen ihnen hatte sie so geängstigt, dass sie in vollem Galopp geflüchtet war. Diese Art von Hitze konnte einen nur in die Flucht schlagen. So eine Art von Leidenschaft hielt keiner aus, überlebte keiner. Nicht lange jedenfalls.
Ein Teil der Anziehung war rein körperlich. Er war so … groß. Er verströmte Kraft und Stärke. Sie hatte sich in seinen Armen völlig sicher und vor der ganzen Welt beschützt gefühlt. Es war lange, lange her gewesen, dass sie sich derart geborgen und sicher gefühlt hatte.
Und der Himmel wusste, dass sie versucht gewesen war, der Leidenschaft nachzugeben, die sie in seiner Nähe empfand.
Aber sie war zu klug, sich vormachen zu lassen, dass sie lange bei ihm sicher gewesen wäre. Sie kannte sich zu gut. Sie wäre in dieser Hitze, dieser Kraft versunken und hätte - wenn
sie ihr unweigerlich genommen wurde - vergessen, wie man auf eigenen Füßen stand.
Die Wahrheit war, sie konnte sich einzig auf sich selbst verlassen. Sicherheit konnte von einem auf den nächsten Atemzug weg sein.
Lily wusste, sie hatte ein Problem damit, zu vertrauen. Der Tod ihrer Mutter war ein schwerer Schlag gewesen. Dass ihr Vater wieder geheiratet hatte, hatte nicht geholfen, und ihre eigene Ehe mit Sean hatte in einem Verlust geendet. Nichts war für ewig.
Sie würde daran arbeiten. Das würde sie. Und eines Tages würde sie sich wieder verabreden. Aber das hier war weder der Tag noch der Mann. So verführerisch die Aussicht auch war, dachte sie, und wollte die Zähne in seine Unterlippe senken, während er schlief. Sie schüttelte sich im Geiste durch. Kein Wunder, dass sie letzte Nacht von Derek geträumt hatte. Gerissener Schuft! Es war sehr, sehr dreist von ihm, sich so in ihre Träume zu schleichen. Und er wäre nicht Derek gewesen, hätte er es nicht in Technicolor getan. Die Ratte.
Sie war immer noch schläfrig und hätte auch noch Zeit gehabt, aber ihre Blase spielte nicht mit. Und wenn sie schon aufstehen musste, dann konnte sie genauso gut gleich losfahren. In zirka einer Stunde ging eh die Sonne auf.
Sie schob sich vorsichtig aus dem warmen Schlafsack und bemühte sich, den Mann, der dicht neben ihr schlief, nicht zu wecken. Vielleicht hatte er ja den siebten Sinn?
Sie zog die Stiefel an und verstaute den Schlafsack. Dann sah sie sich schnell um und verschwand zwischen den Bäumen.
Ihr Hintern würde gleich einen furchtbaren Schreck bekommen, dachte sie und verzog das Gesicht. Egal, wie oft sie es schon getan hatte, sie würde sich nie daran gewöhnen.
Das diffuse Chiffongrau des Himmels warf weiche, samtige
Schatten auf den Schnee. Lily sah auf. Es würde ein verschneiter Tag werden. Die Sonne würde sich nicht blicken lassen.
Eine Tasse Kaffee, ein Snack für die Hunde, und sie konnten fahren. Sie sah, dass ein paar andere Musher ebenfalls in das Wäldchen wanderten.
Vorhin hatten sich die Hunde noch nicht gerührt. Ihre Stiefel knirschten über den Schnee, und sie entschied sich zu warten, bis auch der verschlafenste ihrer Hunde sich regte. Das war Dingbat, der morgens auch als Letzter sein kleines Hundegeschäft verrichtete. Von gestern hing noch schwacher Kaffeeduft in der
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