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Wie funktioniert die Welt?

Wie funktioniert die Welt?

Titel: Wie funktioniert die Welt? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Brockman , Herausgegeben von John Brockman
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von Reaktionsdiffusionsgleichungen. Wie sie dabei festgestellt haben, kann man die tatsächlich beobachteten Muster von Tieren erzeugen, wenn man die Parameter abwandelt. Manche Mathematiker sind der Frage nachgegangen, wie Größe und Form der Oberfläche über die beobachteten Muster bestimmen; wandelt man den größten Parameter ab, gelangt man leicht vom Muster einer Giraffe zu dem eines Holstein-Rindes.
    Dieses elegante Modell kann sogar einfache Voraussagen liefern. So kann ein geflecktes Tier dem Modell zufolge beispielsweise einen gestreiften Schwanz haben (was auch sehr oft der Fall ist), ein gestreiftes Tier wird aber nie einen gefleckten Schwanz besitzen. Und tatsächlich beobachten wir genau das! Mit den Gleichungen kann man die endlosen Variationen erzeugen, die man in der Natur wiederfindet, sie zeigen aber auch die natürlichen biologischen Begrenzungen. Kiplings kleine Geschichte kann man also ohne weiteres gegen die Eleganz und Allgemeingültigkeit der Reaktionsdiffusionsgleichungen eintauschen.

Stanislas Dehaene
Der universelle Algorithmus für Entscheidungen von Menschen
    Neurowissenschaftler, Collège de France; Autor von Lesen. Die größte Erfindung der Menschheit und was dabei in unseren Köpfen passiert
    Der französische Physiker Jean Baptiste Perrin sagte einmal, es solle das letzte Ziel der Wissenschaft sein, »die sichtbare Komplexität durch eine unsichtbare Einfachheit zu ersetzen«. Kann die Psyche des Menschen dieses ehrgeizige Ziel erreichen? Kann sie hinter der scheinbaren Vielfalt unserer Gedanken elegante Regeln entdecken? Viele Wissenschaftler halten die Psychologie nach wie vor für ein »weiches« Fachgebiet, dessen Methoden und Untersuchungsobjekte so verschwommen, so kompliziert und so mit vielschichtiger kultureller Komplexität überfrachtet sind, dass es nie elegante, mathematische Verallgemeinerungen liefern kann. Wie die Kognitionsforscher jedoch genau wissen, ist dieses Vorurteil falsch. Das Verhalten der Menschen unterliegt strengen Gesetzen von höchster mathematischer Schönheit und sogar Notwendigkeit. Eines davon möchte ich benennen: das mathematische Gesetz, nach dem wir unsere Entscheidungen treffen.
    Alle unsere inneren Entscheidungen lassen sich offenbar mit einer einfachen Regel beschreiben, in die einige der elegantesten mathematischen Formulierungen der letzten Jahrhunderte einfließen: die Brown’sche Bewegung, das Bayes-Gesetz und die Turing-Maschine. Beginnen wir mit der einfachsten denkbaren Entscheidung: Wie entscheiden wir, dass 4 kleiner ist als 5 ? Hinter dieser einfachen Leistung findet man mit psychologischen Untersuchungen viele erstaunliche Dinge. Erstens ist unsere Leistung langsam: Von dem Augenblick an, in dem die Zahl 4 auf einem Bildschirm erscheint, bis zu dem Zeitpunkt, zu dem wir durch Betätigung eines Knopfes reagieren, dauert die Entscheidung fast eine halbe Sekunde. Zweitens ist unsere Reaktionszeit von einem Versuch zum nächsten sehr unterschiedlich – sie liegt selbst dann, wenn wir immer auf das gleiche Zahlensymbol » 4 « reagieren, irgendwo zwischen 300 und 800  Millisekunden. Drittens machen wir Fehler: Es hört sich lächerlich an, aber selbst wenn wir 4 und 5 vergleichen, treffen wir manchmal die falsche Entscheidung. Viertens schwankt unsere Leistung mit der Bedeutung des Gegenstandes: Wenn die Zahlen weiter voneinander entfernt sind (beispielsweise 1 und 5 ), entscheiden wir schneller und begehen weniger Fehler, als wenn sie nahe beieinanderliegen (wie 4 und 5 ).
    Alle genannten Tatsachen und viele weitere lassen sich mit einer einzigen Gesetzmäßigkeit erklären: Unser Gehirn trifft Entscheidungen, indem es die verfügbaren statistischen Anhaltspunkte sammelt und sich zu einer Entscheidung entschließt, sobald die Summe einen Schwellenwert überschreitet.
    Diese Aussage möchte ich ein wenig auseinandernehmen. Wenn das Gehirn eine Entscheidung trifft, steht es vor dem Problem, dass es Signale und Rauschen unterscheiden muss. Der Input ist bei jeder Entscheidung von Rauschen unterlegt: Photonen treffen zu zufälligen Zeitpunkten auf die Netzhaut, Neuronen übertragen die Information nur mit partieller Zuverlässigkeit, und überall im Gehirn finden spontane Neuronenentladungen (Spikes) statt, die bei jeder Entscheidung zum Rauschen beitragen. Selbst wenn es sich beim Input um eine Zahl handelt, zeigt die Aufzeichnung der Neuronenaktivität, dass die zugehörige Mengenangabe durch eine lautstarke Population von

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