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Wie funktioniert die Welt?

Wie funktioniert die Welt?

Titel: Wie funktioniert die Welt? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Brockman , Herausgegeben von John Brockman
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gefährdet. Sex spielt sich deshalb im Schatten von Ausnutzung, Unerlaubtheit, Eifersucht, Misshandlung, Ehebruch, Trennung, Belästigung und Vergewaltigung ab.
Liebe ist nicht das Einzige, was man braucht, und sie lässt auch die Welt nicht rundlaufen. Eine Ehe bietet dem Paar zwar tatsächlich die theoretische Möglichkeit, die genetischen Interessen in eine vollkommene Übereinstimmung zu bringen, und deshalb ist sie eine Gelegenheit für die Glückseligkeit, die wir mit romantischer Liebe assoziieren: Das genetische Schicksal der Partner wird in dasselbe Päckchen gepackt – nämlich in ihre Kinder. Leider können diese Interessen aber durch Untreue, Stiefkinder, Schwiegereltern oder Altersunterschiede auseinanderlaufen – Faktoren, die nicht zufällig wichtige Ursachen von Ehestreitigkeiten sind.
    Das alles besagt nicht, dass Menschen Roboter wären, die von ihren Genen gesteuert werden, und ebenso wenig heißt es, dass komplexe Merkmale von einzelnen Genen festgelegt würden, dass man Menschen moralisch entschuldigen könnte, wenn sie streiten, vergewaltigen oder fremdgehen, dass Menschen so viele Kinder wie möglich haben sollten oder dass Menschen für die Einflüsse ihrer Kultur unzugänglich wären (um nur einige der verbreitetsten Missverständnisse im Zusammenhang mit evolutionären Erklärungen zu nennen). Es bedeutet aber, dass eine große Zahl immer wiederkehrender Konflikte zwischen Menschen das Ergebnis weniger Aspekte jenes Prozesses sind, der das Leben überhaupt erst möglich gemacht hat.

Jonathan Gottschall
Die Faurie-Raymond-Hypothese
    Literaturwissenschaftler, nebenamtlicher Dozent, English Department, Washington & Jefferson College; Autor von The Storytelling Animal
    Zum ersten Mal las ich schon vor langer Zeit etwas über die Faurie-Raymond-Hypothese, aber »klick« machte es bei mir erst, als ich mit dem großen Nick kämpfte. Nick ist Mitglied der Nationalgarde und trainiert mit mir an der örtlichen Akademie für Kampfsportarten. Eigentlich kämpften wir nicht, sondern trainierten nur. Aber Nick ist so stark und seine Schläge sind so ehrlich, dass er das Wahrnehmungsvermögen des Gegners selbst dann ins Schwanken bringt, wenn er vorsichtig sein will. Die Glocke erklang, wir begannen zu kämpfen, und meine Angst wich schnell der Orientierungslosigkeit. Irgendetwas stimmte nicht. Nick ist kräftig, aber nicht geschickter als ich, und man würde nicht behaupten, dass er sich besonders elegant bewegt oder eine raffinierte Schlagtechnik hat. Nick prescht einfach vor: kurze Gerade, Cross; kurze Gerade, Cross, Haken. Nick tänzelt nicht. Nick torkelt nicht. Nick prescht vorwärts.
    Warum also traf ich ihn nicht? Warum gingen meine Schläge harmlos an seinem Kopf vorbei oder prallten an seinem Bauch ab? Und warum musste ich jedes Mal Handschuhleder fressen, wenn ich versuchte auszuweichen und zu kontern? Ich beobachtete ihn durch die Bewegungen seiner Hände, aber alle Winkel sahen irgendwie falsch aus, die Ebenen seines Gesichts und Körpers waren schief. Es gab nichts Festes, das man treffen konnte. Und die ganze Zeit drosch er mit Schlägen auf mich ein, die ich zu spät wahrnahm – langsame, schwere Schläge, schräg und zum Verrücktwerden.
    Als die Glocke mich schließlich erlöste, umarmten wir uns. (Es ist paradox: Nichts führt unter Männern zu größerer Liebe als ein gutmütiger Faustkampf.) Ich fiel auf einen der Klappstühle, in meinem Kopf pochte es, und der Schweiß lief mir vom Körper. Zu mir selbst sagte ich: »Damit ist es besiegelt. Faurie-Raymond muss stimmen.«
    Nick repräsentiert einen Typus, den 90  Prozent der Boxer auf der Stelle fürchten und verachten. Er ist Linkshänder, und das ist nach Ansicht meines Boxlehrers »eine Gemeinheit« und »ein Geburtsfehler«. Damit schließt mein Lehrer sich anderen rechtshändigen Autoritäten aus der sauberen Wissenschaft an, die anscheinend keine Scherze machen, wenn sie sagen: »Man sollte alle Linkshänder bei der Geburt ertränken.«
    In der Behauptung meines Lehrers, Linkshänder litten unter einem Defekt, steckt ein erstaunliches Körnchen Wahrheit. In einer Welt, in der Scheren und Schulpulte für Rechtshänder konstruiert sind, ist es nicht nur lästig, Linkshänder zu sein, sondern es ist anscheinend auch schädlich. Einer ganzen Reihe von Studien zufolge besteht für Linkshänder eine höhere Wahrscheinlichkeit, an Krankheiten wie Schizophrenie, geistiger Behinderung, Immunschwäche, Epilepsie, Lernstörungen,

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