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Wie funktioniert die Welt?

Wie funktioniert die Welt?

Titel: Wie funktioniert die Welt? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Brockman , Herausgegeben von John Brockman
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Wirbelsäulenanomalien, Bluthochdruck, ADH , Alkoholismus und Stottern zu leiden.
    Damit bin ich bei Charlotte Faurie und Michel Raymond, zwei französischen Wissenschaftlern, die sich mit der Evolution der Händigkeit beschäftigen. Linkshändigkeit ist zum Teil erblich und mit beträchtlichen gesundheitlichen Risiken verbunden. Warum also, so fragten sie sich, hat die natürliche Selektion sie nicht ausgemerzt? Wurden die Kosten der Linkshändigkeit durch einen versteckten Nutzen für die Lebensfähigkeit wettgemacht?
    Nach ihren Feststellungen sind Linkshänder bei Sportarten wie Baseball und Fechten, in denen eine interaktive Konkurrenz stattfindet, im Vorteil, nicht aber bei Sportarten wie Turnen oder Schwimmen, die nicht mit direkter Interaktion verbunden sind. Unter Spitzensportlern im Kricket, Boxen, Ringen, Tennis, Baseball und anderen sind Linkshänder stark überrepräsentiert. Der Grund liegt auf der Hand: Da 90  Prozent aller Menschen Rechtshänder sind, konkurrieren diese in der Regel gegeneinander. Haben sie es mit Linkshändern zu tun, die alles verkehrt herum machen, stellt ihr Gehirn sich quer, und die Folgen können so einseitig sein wie bei meiner Niederlage gegen Nick. Linkshänder dagegen sind es gewohnt, gegen Rechtshänder zu kämpfen; wenn zwei Linkshänder einander gegenüberstehen, hebt sich jegliche Verwirrung auf.
    Nun vollzogen Faurie und Raymond einen Gedankensprung. Unsere Urahnen führten in der Regel ein gewalttätigeres Leben als wir. Erstreckte sich der Vorteil der Linkshänder im Sport – insbesondere in Kampfsportarten wie Boxen, Ringen und Fechten – auch auf die Kämpfe mit Fäusten, Knüppeln oder Speeren? Könnte der Vorteil, den die Linkshändigkeit im Kampf verleiht, ein Gegengewicht zu dem mit ihr verbundenen gesundheitlichen Nachteil gewesen sein? In einem 2005 erschienenen Aufsatz untermauerten Faurie und Raymond ihre Vorhersage mit einer engen Korrelation zwischen Gewalt und Händigkeit in vorindustriellen Gesellschaften: Je gewalttätiger die Gesellschaft war, desto mehr Linkshänder gab es. Die gewalttätigste von ihnen untersuchte Gesellschaft, die Eipo im Hochland Neuguineas, bestand zu fast 30  Prozent aus Linkshändern. [5]
    Was macht eine wissenschaftliche Erklärung schön? Allgemeine Faktoren wie das Sparsamkeitsprinzip spielen eine gewisse Rolle, aber wie bei jeder ästhetischen Frage sind die Launen des persönlichen Geschmacks von großer Bedeutung. Warum finde ich die Faurie-Raymond-Hypothese attraktiv? Unter anderem, weil sie eine fast leichtsinnig kreative Idee war, zu der die Daten dann dennoch passten. Vor allem aber weil ihre unbezweifelbare Wahrheit mir irgendwann letztes Jahr von einem jungen Soldaten ins Gehirn gehämmert wurde.
    Damit soll – Entschuldigung an Keats – nicht gesagt werden, dass Schönheit und Wahrheit Synonyme sind. Manchmal erweist sich die Wahrheit als langweilig und platt. Und viele der hübschesten Erklärungen – jene, die wir mit fast elterlicher Zärtlichkeit bewundern – erweisen sich als völlig falsch. Genau das bezeichnete T.H. Huxley als wissenschaftliche Tragödie: »Eine schöne Hypothese wird durch eine hässliche Tatsache zu Fall gebracht.« Seither wurde die Faurie-Raymond-Hypothese in zahlreichen Studien untersucht. Die Ergebnisse waren widersprüchlich, aber dabei sind nach meinem Geschmack entschieden hässliche Tatsachen ans Licht gekommen. In einer neueren, eindrucksvollen Untersuchung fand man keinen Beleg dafür, dass Linkshänder bei den Eipo im Hochland Neuguineas überrepräsentiert wären. [6]
    Eine Lieblingsidee aufzugeben, von der man nicht nur weiß, dass sie wahr ist, sondern die sich auch durch persönliches Erleben und nicht nur durch Statistik eingeprägt hat, tut weh. Noch bin ich nicht bereit, diese Hypothese auf den Friedhof der hübschen, aber toten Wissenschaft zu verbannen. Faurie und Raymond führten Befunde aus dem Sport an, um ihre eigentliche Aussage über Kämpfe zu untermauern. Nach meiner Auffassung sind die Daten aus dem Sport vielleicht eigentlich das Wichtigste. Vielleicht haben Linkshändergene überlebt, weil sie nicht in echten, sondern in
spielerischen
Kämpfen bessere Erfolge ermöglichten – ein Gedanke, den Faurie und Raymond in einem späteren Aufsatz erwähnen. [7] Sportliche Wettbewerbe sind in vielen Kulturen von großer Bedeutung. Auf der ganzen Welt ist Sport vorwiegend eine Männerdomäne, und die Sieger – von den Kapitänen der

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