Wie funktioniert die Welt?
werden sollte, eine Lösung gesucht: Er hatte die Entfernungen zu den Stellen in Verbindung gebracht, an denen man eine Saite zupfen muss, damit die erzeugten Töne für das Ohr angenehm klingen. Und fast 200 Jahre nach Kepler schlugen Johann Bode und Johann Titius ohne tiefer gehende Begründung eine einfache numerische Formel vor, die angeblich zu den fraglichen Entfernungen passte. Wie man daran erkennt, war Keplers Erklärung weder der erste noch der letzte Versuch, die Verhältnisse der Radien der Planetenumlaufbahnen zu erklären, aber mit ihrer Verbindung von Dynamik und Geometrie ist sie für mich nach wie vor die tiefste, aber auch die einfachste und eleganteste.
Streng genommen, ist eigentlich keiner der drei Vorschläge falsch. Alle drei sind vielmehr Lösungen für ein Problem, das es gar nicht gibt: Wie wir heute wissen, ist die Lage der Planeten ausschließlich vom Zufall bestimmt, ein Nebenprodukt der Entwicklung jener wirbelnden Staubscheibe, die in der Frühzeit um die Sonne kreiste und die unter dem Einfluss der Schwerkraft schließlich in die heutige Form überging. Die Erkenntnis, dass überhaupt kein Problem existiert, stellte sich erst ein, als unsere Vorstellung von der zentralen Stellung unseres Planetensystems sich erweiterte und einer viel größeren Vision Platz machte, in der sich nahezu unendlich viele derartige Systeme über die ungeheure Zahl der Galaxien in unserem Universum verteilen.
Ich habe darüber nachgedacht, weil ich wie viele meiner Kollegen aus der theoretischen Physik einen großen Teil meiner Berufslaufbahn darauf verwendet habe, nach einer Erklärung für die Massen der sogenannten Elementarteilchen zu suchen. Der Grund, dass wir sie nicht dingfest machen konnten, liegt vielleicht in einer Vorstellung, die zunehmend glaubhafter wird: Danach ist unser sichtbares Universum nur ein zufälliges Element in einer praktisch unendlichen Zahl von Universen, in denen die Masse von Quarks und Leptonen ganz unterschiedliche Werte annimmt. Dass diese Werte in mindestens einem dieser Universen mindestens einen Stern mit einem Planeten zulassen, auf dem Lebewesen sich über solche Probleme Gedanken machen können, ist demnach reiner Zufall.
Mit anderen Worten: Ein Problem, dem wir eine zentrale Bedeutung beigemessen haben, existiert vielleicht wiederum irgendwann nicht mehr, weil unsere Vorstellung vom Universum gewachsen ist – und sich in diesem Fall auf viele Universen erweitert hat. Angenommen, das stimmt: Welche großartigen Panoramen liegen dann in der Zukunft noch vor uns? Ich hoffe nur, dass unsere Nachkommen über ein tieferes Verständnis für solche Probleme verfügen werden als wir und dass sie über unsere unbeholfenen Versuche, eine tiefgreifende, elegante, schöne Lösung für das Problem zu finden, lächeln werden – weil sie erkannt haben, dass es gar nicht existiert.
Freeman Dyson
Wie unvereinbare Weltanschauungen nebeneinander existieren können
Theoretischer Physiker, Institute for Advanced Study; Autor von A Many-Colored Glass: Reflections on the Place of Life in the Universe
Ich möchte hier erklären, wie zwei scheinbar nicht miteinander vereinbare Bilder des Universums nebeneinander existieren können. Das eine ist das klassische Bild: Darin ist unsere Welt eine Ansammlung von Dingen und Tatsachen, die wir sehen und fühlen können und die von einer allgemein gültigen Gravitation beherrscht werden. Das andere ist das Bild der Quantentheorie: Atome und Strahlung verhalten sich unberechenbar, und das beherrschende Prinzip sind Wahrscheinlichkeiten und Unschärfen. Anscheinend sind beide Bilder richtig, aber die Beziehung zwischen ihnen ist ein Rätsel.
Die orthodoxe Ansicht der Physiker lautet: Wir müssen eine einheitliche Theorie finden, die beide Bilder als Spezialfälle einschließt. Die vereinheitlichte Theorie muss eine Quantentheorie der Gravitation beinhalten; es muss die als Gravitonen bezeichneten Teilchen geben, in denen sich die Eigenschaften der Gravitation mit denen der Quantenunschärfe verbinden.
Ich suche nach einer anderen Erklärung für das Rätsel. Ich frage: Könnte man ein Graviton, so es denn existiert, beobachten?
Die Antwort auf diese Frage kenne ich nicht, aber ich habe ein Indiz dafür, dass sie möglicherweise nein lautet. Dieses Indiz liegt im Verhalten einer bestimmten Apparatur: des Laser-Interferometer-Gravitationswellen-Observatoriums ( LIGO ), das heute in den US -Bundesstaaten Louisiana und Washington in
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