Wie funktioniert die Welt?
optimale Lösung für das Problem des Handelsreisenden. Mit der »ameisenbasierten Routenfindung«, einer Computersimulation, in der virtuelle Ameisen sich nach ähnlichen Regeln verhalten, kann man die optimalen Verbindungswege für die Knoten in einem Netzwerk finden, was für Telekommunikationsunternehmen von größtem Interesse ist. Das Gleiche gilt auch für das Gehirn, in dem während seiner Entwicklung eine ungeheure Zahl von Neuronen durch eine noch größere Zahl von Verknüpfungen verbunden werden muss, ohne dass Millionen Kilometer an Axonen verlegt werden. Mit einer anderen Form der ameisenbasierten Routenfindung gelangen die wandernden Neuronen während der Embryonalentwicklung zu einer effizienten Lösung.
Ein wunderschönes Beispiel sind die einfachen Moleküle in einer organischen Lösung, die mit Hilfe einfacher Anziehungs- und Abstoßungsregeln (das heißt mit positiven und negativen Ladungen) gelegentlich komplexere Strukturen bilden können. Auf diese Weise dürfte das Leben entstanden sein, ohne dass Blitze die Bildung komplexerer Moleküle katalysieren mussten.
Und warum erscheint die Selbstorganisation meinem atheistischen Ich so schön? Die Antwort: Wenn komplexe, anpassungsorientierte Systeme keinen Bauplan benötigen, brauchen sie auch niemanden, der einen Bauplan zeichnet. Und wenn sie keine Blitze brauchen, brauchen sie auch niemanden, der Blitze schleudert.
Keith Devlin
Sprache und natürliche Selektion
Geschäftsführender Direktor des H-Star Institute, Stanford University; Autor von The Man of Numbers: Fibonacci’s Arithmetic Revolution
Die Evolution durch natürliche Selektion erklärt nicht nur, warum wir alle da sind, wie wir sind und warum wir uns so und nicht anders verhalten, sondern sie kann auch (zumindest zu meiner recht kritischen Zufriedenheit) erklären, warum viele Menschen sich weigern, sie anzuerkennen, und warum noch mehr Menschen an eine allmächtige Gottheit glauben. Aber da andere
Edge
-Antworten wahrscheinlich ohnehin die natürliche Selektion als tiefgreifende, elegante und schöne Lieblingserklärung nennen werden (sie besitzt neben ihrer weitreichenden Erklärungskraft auch alle drei Attribute), möchte ich mich auf einen besonderen Fall beschränken: die Frage, wie Menschen die Sprache erworben haben – und damit meine ich die Struktur der Grammatik.
Manche Belege deuten darauf hin, dass unsere Vorfahren bereits vor mindestens 3 Millionen Jahren effektive Methoden entwickelten, um mit Lautäußerungen zu kommunizieren. Die Grammatik dagegen ist viel neueren Datums und vielleicht erst 75 000 Jahre alt. Wie ist sie entstanden?
Wie jeder weiß, der schon einmal ins Ausland gereist ist, reichen wenige Worte in Verbindung mit Gesten aus, wenn man Menschen, denen man gegenübersteht, grundlegende Bedürfnisse, Wünsche und Absichten im Zusammenhang mit Objekten, die sich in Sichtweite befinden, mitteilen will. Die einzige dazu notwendige Grammatik besteht darin, gelegentlich zwei Wörter zu verbinden (»Ich Tarzan, du Jane«, wie es in dem informativen und anspielungsreichen klassischen Beispiel aus Hollywood heißt). Anthropologen bezeichnen solche einfachen Kommunikationssysteme mit Wortpaaren als Protosprache.
Wenn man aber Dinge mitteilen will, die sich nicht im Hier und Jetzt befinden, braucht man mehr. Um zukünftige gemeinsame Aktivitäten sinnvoll planen zu können, bedarf es praktisch der gesamten grammatikalischen Struktur, insbesondere wenn an der Planung mehr als zwei Personen beteiligt sind – und noch höhere Anforderungen werden an die Grammatik gestellt, wenn der Plan die Koordination von Gruppen erfordert, die nicht alle am gleichen Ort oder zum gleichen Zeitpunkt anwesend sind.
Da das Überleben der Menschen in so großem Umfang von unserer Fähigkeit abhängt, unsere Handlungen zu planen und zu koordinieren sowie Fehlschläge gemeinsam nachzubereiten, um eine Wiederholung unserer Fehler zu vermeiden, muss die grammatikalische Struktur für den
Homo sapiens
von ungeheurer Bedeutung sein. Viele halten sie sogar für unser definierendes Merkmal. Aber auch wenn man mit Fug und Recht die Ansicht vertreten kann, dass Kommunikation für die Grammatik der größte Anwendungsbereich ist, kann sie nicht der Grund sein, warum die Grammatik überhaupt in den Genpool gelangte. Das hat einen einfachen Grund: Da Grammatik notwendig ist, damit verbale Äußerungen kompliziertere Ideen vermitteln können, als es mit einer Protosprache möglich
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