Wie funktioniert die Welt?
wäre, kommt sie erst dann ins Spiel, wenn das Gehirn solche Gedanken produzieren kann. Diese Überlegungen führen zu der heute allgemein (allerdings nicht ohne Gegenstimmen) anerkannten Standarderklärung für den Spracherwerb. Sie besagt, stark vereinfacht, ungefähr Folgendes:
Gehirne (oder die Organe, die zu Gehirnen wurden) entwickelten sich in der Evolution zunächst zu dem Zweck, eine Verbindung zwischen motorischen Reaktionen und ankommenden sensorischen Reizen herzustellen.
Bei manchen Tieren wurde das Gehirn komplexer und spielte nun eine Vermittlerrolle zwischen ankommenden Reizen und motorischen Reaktionen.
Bei manchen dieser Tiere erwarb das Gehirn die Fähigkeit, sich über die automatische Abfolge von Reiz und Reaktion hinwegzusetzen.
Beim
Homo sapiens
und in geringerem Umfang auch bei anderen Arten erwarb das Gehirn die Fähigkeit, »offline« zu arbeiten und Simulationen von Handlungen ablaufen zu lassen, ohne dass dafür sensorische Reize notwendig sind und ohne dass eine äußere Reaktion erzeugt wird.
Grammatik benötigt das Gehirn im Stadium 4 . Was wir als grammatikalische Struktur bezeichnen, ist eigentlich eine deskriptive/kommunikative Ausdrucksform einer mentalen Struktur, die ein Modell der Welt erzeugt.
Mir als Mathematiker gefällt an dieser Erklärung vor allem, dass sie auch etwas darüber aussagt, woher das Gehirn seine Fähigkeit zu mathematischem Denken hat. Mathematisches Denken ist letztlich ebenfalls eine Ausdrucksform der Simulationsfähigkeit des Gehirns, die hier allerdings nicht in deskriptive/kommunikative Begriffe gekleidet ist, sondern in quantitative/relationale/logische.
Wie es im Zusammenhang mit Argumenten über natürliche Selektion üblich ist, bedarf es beträchtlicher Anstrengungen, um die Details solcher übermäßig vereinfachten Erklärungen auszuarbeiten (und an manchen Tagen bin ich von manchen Aspekten weniger überzeugt als an anderen), aber insgesamt scheinen sie mir richtig zu sein. Insbesondere die mathematische Geschichte erklärt, warum Mathematik mit einem überwältigenden platonischen Sinn für Überlegungen verbunden ist, in denen es nicht um Abstraktionen geht, sondern um reale Objekte – »real« jedenfalls im platonischen Bereich. An dieser Stelle sagt der langjährige Mathematiklehrer in mir, ich solle den Beweis für diesen Zusammenhang dem Leser als Übung überlassen – also tue ich es.
Richard H. Thaler
Festlegungen
Theoretiker der Verhaltensökonomie; Direktor des Center for Decision Research, Graduate School of Business der Universität Chicago; Coautor (mit Cass R. Sunstein) von Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt
Ein ökonomisches Grundprinzip lautet: Ein Mensch ist immer besser dran, wenn er unter mehreren Alternativen wählen kann. Aber dieses Prinzip ist falsch. In manchen Fällen kann ich mich in eine bessere Lage bringen, wenn ich meine Wahlmöglichkeiten für die Zukunft einschränke und mich auf eine bestimmte Vorgehensweise festlege.
Die Vorstellung von einer Strategie der Festlegung ist schon sehr alt. Der berühmte Odysseus befahl seiner Mannschaft, ihn an den Mast zu binden, damit er die Gesänge der Sirenen hören konnte, ohne das Schiff auf die Felsen zu steuern. Ein anderer Klassiker ist Cortez’ Entscheidung, die Schiffe nach der Ankunft in Südamerika zu verbrennen und damit den Rückzug als Option, über die seine Mannschaft nachdenken könnte, unmöglich zu machen. Aber auch wenn die Idee schon alt ist, haben wir sie in ihren Einzelheiten erst verstanden, nachdem der Nobelpreisträger Thomas Schelling 1956 sein Meisterwerk »An Essay on Bargaining« geschrieben hatte.
Wie allgemein bekannt ist, funktionieren Spiele wie das Gefangenendilemma gut, wenn beide Spieler sich glaubhaft auf die Kooperation festlegen können. Aber wie kann ich den anderen überzeugen, dass ich kooperieren werde, wenn meine beherrschende Strategie darin besteht, abtrünnig zu werden? (Und wenn mein Gegenüber und ich Spieltheoretiker sind, weiß der andere, dass ich weiß, dass er weiß, dass ich weiß, dass Abtrünnigkeit eine vorherrschende Strategie ist.) Schelling nennt viele Beispiele, wie dies zu erreichen ist, eines ist aber mein liebstes: Eine Rehabilitationsklinik in Denver, deren Kundschaft aus reichen Kokainsüchtigen besteht, bietet eine Strategie der »Selbsterpressung« an: Die Patienten erhalten die Gelegenheit, sich in einem Brief selbst zu beschuldigen, aber der Brief wird nur zugestellt, wenn dem
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