Wie funktioniert die Welt?
Fachzeitschrift
Nature
veröffentlicht wurden, [14] hatte Milinski zum ersten Mal gezeigt, dass eine auf Gegenseitigkeit beruhende Kooperation sich in der Evolution unter Egoisten – allerdings kleinen Egoisten – entwickelt hat. Heute zeigt eine Fülle von Forschungsergebnissen, dass viele biologische Systeme und insbesondere die Gesellschaften der Menschen um verschiedene Kooperationsstrategien herum organisiert sind; die wissenschaftlichen Methoden werden zwar ständig raffinierter, aber die ursprünglichen Experimente und die Strategie »Wie du mir, so ich dir« sind wunderschön einfach.
Judith Rich Harris
Wahr oder falsch: Schönheit ist Wahrheit
Unabhängige Wissenschaftlerin und Theoretikerin; Autorin von Ist Erziehung sinnlos?: Die Ohnmacht der Eltern
»Schönheit ist Wahrheit, Wahrheit ist Schönheit«, sagte John Keats. Aber was wusste er schon? Keats war kein Wissenschaftler, sondern Dichter. In der Welt, in der Wissenschaftler zu Hause sind, ist Wahrheit nicht immer schön oder elegant, sie kann aber tief greifend sein. Ich habe sogar einen ganz bestimmten Eindruck: Je tiefer eine Erklärung geht, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie schön oder elegant ist.
Der Psychologe B.F. Skinner formulierte 1938 eine elegante Erklärung für »das Verhalten der Organismen« (so der Titel seines ersten Buches). Sein Grundgedanke: Die Belohnung einer Reaktion – er sprach von
Verstärkung
– führt dazu, dass die gleiche Reaktion mit größerer Wahrscheinlichkeit in Zukunft erneut auftritt. Die Theorie scheiterte, aber nicht, weil sie falsch war (tatsächlich steigert Verstärkung im Allgemeinen die Wahrscheinlichkeit einer Reaktion), sondern weil sie zu einfach war. Sie ließ angeborene Komponenten des Verhaltens außer Acht. Außerdem konnte sie nicht einmal alle erlernten Verhaltensweisen einbeziehen. Verhalten wird zu einem großen Teil erworben oder durch Erfahrungen geprägt, aber nicht zwangsläufig durch Verstärkung. Lebewesen können Dinge auf unterschiedlichen Wegen lernen.
Eine andere Erklärung für das Verhalten – insbesondere der Menschen – bietet die Theorie des modularen Geistes. Sie besagt, dass der Geist des Menschen aus einer ganzen Reihe spezialisierter Einzelteile oder Module besteht, die mehr oder weniger unabhängig voneinander tätig werden. Die Module sammeln verschiedene Formen der Information aus der Umgebung und verarbeiten sie auf unterschiedlichen Wegen. Entsprechend geben sie unterschiedliche Befehle aus, die sich gelegentlich auch widersprechen. Eine elegante Theorie ist das nicht; im Gegenteil: Sie gehört zu den Dingen, über denen Ockham sein Rasiermesser schwingen würde. Aber wir sollten Theorien nicht beurteilen, indem wir sie in einem Schönheitswettbewerb gegeneinander antreten lassen. Stattdessen sollten wir fragen, ob sie mehr oder bessere Erklärungen liefern als frühere Theorien. Die modulare Theorie erklärt beispielsweise die seltsamen Auswirkungen von Gehirnverletzungen. Unter Umständen gehen manche Fähigkeiten verloren, während andere verschont bleiben, und die Verteilung unterscheidet sich von einem Patienten zum anderen.
Und was noch wichtiger ist: Die modulare Theorie kann auch einige Rätsel des Alltags erklären. Ein Beispiel sind Konflikte zwischen Gruppen. Die Montagues und die Capulets hassten einander, aber Romeo (ein Montague) verliebte sich in Julia (eine Capulet). Wie kann man ein Mitglied einer Gruppe lieben und dennoch dieselbe Gruppe weiterhin hassen? Die Antwort: Daran sind zwei verschiedene geistige Module beteiligt. Das eine beschäftigt sich mit Gruppen (der Identifikation mit der eigenen Gruppe und der Feindseligkeit gegenüber anderen), das andere ist auf persönliche Beziehungen spezialisiert. Beide Module sammeln Informationen über Menschen, aber sie verarbeiten die Daten unterschiedlich weiter. Das Gruppengefühlsmodul zieht Grenzen zwischen Kategorien und berechnet Durchschnittswerte innerhalb der Kategorien; das Ergebnis bezeichnet man als Klischee. Das Beziehungsmodul sammelt und speichert detaillierte Informationen über Einzelpersonen. Es hat Spaß daran, solche Informationen zu sammeln – deshalb haben wir so viel Freude an Tratsch, Romanen und Biographien, aber auch an dem, was politische Kandidaten auf unseren Fernsehschirmen offenlegen. Damit wir so etwas tun, braucht niemand uns Nahrung oder Geld zu geben; notwendig ist noch nicht einmal ein Klaps auf den Rücken, denn schon das Datensammeln
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