Wie funktioniert die Welt?
veranlassten Alfred Wegener dazu, bei der Deutschen Geologischen Gesellschaft 1912 die Vermutung zu äußern, die Kontinente hätten sich einst als zusammenhängende Landmasse gebildet. Seine wunderschöne Theorie wurde mit Buhrufen und wissenschaftlicher Ablehnung beantwortet.
Das Problem bestand darin, dass Wegeners wunderschöner Theorie ein Mechanismus fehlte. Höhnisch verkündeten die Kritiker, die leichten Kontinente könnten unmöglich durch eine dichte, unnachgiebige Ozeankruste pflügen. Niemand, auch Wegener selbst nicht, konnte sich eine Kraft vorstellen, welche die Kontinente verschieben konnte. Auch die Tatsache, dass Wegener als Meteorologe im Fachgebiet der Geophysiker wilderte, war alles andere als hilfreich. Er starb 1930 bei einer Grönlandexpedition; seine Theorie geriet in Misskredit und in nahezu völlige Vergessenheit.
Inzwischen gab es überall Anhaltspunkte für einen Mechanismus, aber sie waren zu klein und gleichzeitig zu groß, als dass man sie erkannt hätte. Wie Ameisen, die über eine Kugel kriechen, übersahen die kümmerlichen Menschen das Offensichtliche. Es bedurfte erst neuer, leistungsfähiger wissenschaftlicher Hilfsmittel, damit man die verborgenen Spuren der Kontinentalverschiebung aufdecken konnte. Mit dem Sonar verfolgte man rätselhafte, langgestreckte Bergrücken, die sich wie Reißverschlüsse über die Ozeanböden zogen. Magnetometer, die man an Tauen über den Meeresboden zog, ließen symmetrische, an Zebrastreifen erinnernde Muster mit gegenläufiger magnetischer Polarität erkennen. Erdbeben verrieten den Seismographen, die auf sie lauschten, wo die Grenzen der Platten verliefen. Und die radiometrische Datierung zeigte einen zeitlichen Ablauf, der bis tief in die Vergangenheit reichte.
Drei Jahrzehnte nach Wegeners Tod kristallisierte sich der Mechanismus der Plattentektonik in atemberaubender Klarheit heraus. Die Kontinente pflügen nicht durch irgendetwas, sondern sie treiben wie Flöße über die Kruste, wie Marshmallows, die in einer Tafel aus langsam abkühlender Schokolade stecken geblieben sind. Und die ozeanische Kruste bewegt sich wie ein Förderband – in der Mitte der Ozeane entsteht sie neu, und alte Krustenteile verschwinden an den Grenzen, an denen die Platten aufeinandertreffen, durch Subduktion, oder sie werden zerstört oder zu gewaltigen Gebirgszügen aufgetürmt.
Elegante Erklärungen sind das Kuhn’sche Lösungsmittel, das den Klebstoff von alten Lehrmeinungen entfernt und Platz schafft, so dass neue Theorien Fuß fassen können. Die Theorie der Plattentektonik hatte sich bis Mitte der 1960 er Jahre zweifelsfrei durchgesetzt. Plötzlich waren scheinbare Widersprüche plausibel, und Fragen, die so weit voneinander entfernt zu sein schienen, dass niemand sie in Verbindung gebracht hatte, wurden plötzlich in Beziehung gesetzt. In den Kontinenten erkannte man die Wanderer, die sie sind. Im Himalaja erkannte man das Produkt einer beweglichen indischen Platte, die gegen ihren eurasischen Nachbarn drückt, und es wurde offenkundig, dass im Großen Rift-Tal in Afrika ein Ozean geboren wird. Angesichts der Vorhersagekraft einer wunderschönen Theorie und ihrer eleganten Erklärung fielen die Rätsel wie Dominosteine. Die Skeptiker waren zum Schweigen gebracht, und Wegener wurde posthum rehabilitiert.
Daniel C. Dennett
Warum wandern manche Meeresschildkröten?
Philosoph; Universitätsprofessor und Codirektor, Center for Cognitive Studies, Tufts University; Autor von Den Bann brechen: Religion als natürliches Phänomen
Meine Wahl fällt auf eine Erklärung, die mich besonders entzückt. Sie könnte wahr sein, oder sie könnte falsch sein – ich weiß es nicht, aber vermutlich wird irgendjemand, der
Edge
liest, es maßgeblich sagen und geeignete Quellen zitieren können. Ich bin erpicht darauf, es zu erfahren. Vor einigen Jahren nannte man mir den Grund dafür, dass manche Arten von Meeresschildkröten den ganzen Weg über den Südatlantik wandern und ihre Eier an der Ostküste Südamerikas ablegen, nachdem sie sich an der afrikanischen Westküste gepaart haben: Danach hat diese Verhaltensweise ihren Ursprung in einer Zeit, als Gondwana gerade auseinanderzubrechen begann (das heißt, vor 130 bis 110 Millionen Jahren), und diese Schildkröten schwammen einfach über die schmale Meerenge, um ihre Eier abzulegen. Jedes Jahr wurde die Strecke ein wenig länger – vielleicht um etwa zwei Zentimeter –, aber wem fiel das schon auf? Schließlich
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